Weihnachten mit Mama
Aufwand! Weil Tante Charlotte kam. Zum ersten Mal nach fünfzehn Jahren Funkstille zwischen den beiden Schwestern, die nach einem Streit, dessen Anlass niemand mehr wusste, einander so gut es ging zu ignorieren versuchten. Der fünfundsechzigste Geburtstag meiner Mutter sollte das große Werk der Versöhnung in Gang setzen, der erste Schritt der Einladung war getan und – o Wunder – mit einer Zusage belohnt worden. Tante Charlotte würde, obwohl sie geschworen hatte, nie wieder einen ihrer zierlichen Füße über die Schwelle der Franz-Joseph-Straße zu setzen, sich huldvoll herablassen, der Weihnachts- und Geburtstagsfeier beizuwohnen , anders kann man es nicht sagen. Und sie würde in meinem Zimmer logieren, das eigens dafür renoviert und luxuriös eingerichtet worden war, um Ihre Hoheit Charlotte angemessen zu beherbergen.
»Was machst du denn für ein Gesicht, Buberl? Du bist doch nicht etwa böse mit mir wegen des Zimmers?«
»Aber nein, wo denkst du hin, Mama. Das musste ja irgendwann mal raus, all das Gelump. Kann ja nicht mit neununddreißig noch ein Zimmer bei euch okkupieren. Sieht toll aus jetzt. Grange , nicht wahr? Passt wenigstens zum Rest der Wohnung.«
»Ich wusste, du würdest es verstehen.« Sie lächelte mich in ihrer unnachahmlichen Art an, tätschelte mir die Wange und zog mich dann neckisch am Ohrläppchen. »Ach, Johannes, bist du so lieb und begleitest mich auf den Weihnachtsmarkt? Wir brauchen noch was für die Krippe.«
»Was denn, um Himmels willen? Meine Güte, Mama, wir haben unsere Krippe seit vierzig Jahren. Was gibt es denn da noch zu besorgen?«
Sie blickte mich mit dem von mir so gefürchteten schelmischen Blick an. »Du wirst schon sehen.«
4
So muss eine Bratwurst schmecken!
A lso schlossen wir die Tür hinter dem Weihnachtszimmerchaos, Mama zog ihren feschen Mantel an, sagte Papa Bescheid und orderte einen Wagen. Als der Taxifahrer – die Karikatur eines italiano – das Ziel »Marienplatz« hörte, grinste er nur und tippte sich an die Kappe.
»Mariaplatze, gehte klar, Signora«, sagte er zu Mama, die mit vollkommener Grazie im Wagenfond Platz genommen hatte und huldvoll nickte. »Iste schönste Markt in ganze Stadt …«
Der Münchner Christkindlmarkt – Kulmination all meiner traumseligen Kindheitserinnerungen – erstrahlte in vollem Glanz, als Mama aus dem Taxi stieg und sich mit verzaubertem Blick, als sehe sie das alles zum ersten Mal in ihrem Leben, bei mir unterhakte.
»Ach, ist das schön, Buberl … Schau nur!« Sie zeigte auf das Schild Krippenmarkt und zog mich aufgeregt dorthin, wo es Dutzende von Ständen mit Krippen und Figuren und Zubehör gab. Alles, was das Weihnachtsherz begehrte. Aber ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was Mama hier suchte.
Bis sie an einem Stand stehen blieb.
»Schau, Buberl, da sind sie …!«
Ich sah vor lauter Engeln und Krippenfiguren in allen Formen, Farben, Materialien und Preisklassen nicht, was sie meinte.
»Was denn, Mama?«
»Na, die Laternen … die Leuchtkörper … was weiß ich, wie die das hier nennen.«
Sie deutete auf die mit winzigen Glühlampen ausgestatteten Sterne, Lagerfeuer, Stalllaternen. Die Feuerstellen waren besonders putzig, das Licht flackerte lustig unter einer roten Plastikkapuze, und es gab sogar einen kleinen Kupferkessel, in dem die Hirten wohl ihr Gulasch schmoren sollten.
»Entzückend! So was brauchen wir noch. Brockerhoffs haben das auch, es gibt der Krippe erst das richtige Flair, verstehst du?«
Gequält verzog ich das Gesicht, was Mama sofort alarmierte. »Aber was ist denn, Buberl …?«
»Nenn mich nicht immer Buberl … bei den vielen Leuten hier! Das ist superpeinlich, wenn ich dir das mal sagen darf. Schließlich gehe ich nicht mehr mit dir am Händchen über den Weihnachtsmarkt.«
Sie klopfte mir begütigend auf den Unterarm. »Ach, mein Großer! Johannes!« Sie sprach meinen Namen voll Ironie aus. »Aber findest du nicht, dass es an der Zeit ist, unsere Krippe elektrisch auszustatten?«
»Ich kann damit nicht so viel anfangen.«
»Was? Deine Eisenbahnanlage konnte doch nicht genug Lichter haben … Bahnhöfe, Bahnsteige, Dörfer, Kirchen, Häuser … Alles musste doch beleuchtet sein.«
»Mama, das ist dreißig Jahre her!«
»Ach was, so was bleibt … die Freude am Elektrischen. Schau nur, wie niedlich diese kleine Lampe ist! Die kommt in den Stall!«
Sie hob mit spitzen Fingern ein Lämpchen hoch und ließ es vor meinen Augen baumeln. Bevor sie
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