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Weihnachten mit Mama

Weihnachten mit Mama

Titel: Weihnachten mit Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Thanner
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backen würden, dass die nicht minder festsitzenden Gebisse der Verwandten jeglichen Stresstest bestehen könnten.
    Es war inzwischen in der Küche saharaheiß, auf Mamas Stirn glänzten Schweißperlen heller als die Perlen an ihren Ohrringen. Und auch ich schwitzte den großen Küchenblues wie in den Südstaaten. Mama, die Southern Belle , strahlte über das ganze Gesicht, die Wangen heftig gerötet, als hätten ihr die Vanillekipferl persönlich das schönste Kompliment gemacht.
    »Oh, schau mal … sind die nicht herrlich geworden?«
    »Mmh.«
    »Magst du probieren?«
    »Warum nicht?« Ich nahm eines der Kipferl mit eingebranntem Puderzucker vom Blech und stopfte es mir so schnell in den Mund, dass ich mir Finger- und Zungenspitze zugleich verbrannte. Es war lebensgefährlich in Mamas himmlischer Backstube. Warum hatte eigentlich die Firma Heulen & Zähneklappern ausgerechnet in unserer Küche eine Zweigstelle aufgemacht?
    »Oah … uh … aargh …«
    »Was ist denn?«
    »Chie chind cho heich!«
    »Was?«
    »Chie chind heich … heich … heichß!«
    »Na, sie kommen ja auch aus dem Ofen, Buberl!«
    Was sie nicht sagte! Sie kommen aus dem Ofen! Damit hätte ich nie und nimmer rechnen können.
    Immerhin verhinderte die Hitze des Gebäcks, dass meine Gaumenknospen auch nur irgendeinen Geschmack feststellen konnten, so rasch schluckte ich es hinunter. Das Kipferl zog seine feurige Spur durch Rachen und Hals und kam als Feuerball im Magen an, wo sich sofort alle ätzenden Magensäfte zur Gegenwehr versammelten. Darauf einen Underberg !
    Ich kippte das Fläschchen und spürte die neutralisierende Wirkung sofort. Und sie war nicht nur neutralisierend, sodass ich nach einer Viertelstunde wieder einigermaßen verständlich sprechen konnte. Sondern auch animierend. Ja, sie animierte zu weiteren Großtaten in Siebenschöns Backstube, wo uns noch weitere wunderbare Kreationen gelingen sollten. Zum Beispiel Linzer Augen, die man andernorts auch als Spitzbuben kennt und deren glänzender Mittelpunkt Ribiselmarmelade respektive Johannisbeerkonfitüre bildet. Zwar gelang mir das Ausstechen der Löcher für diese Füllung ganz passabel, oft bildeten die Ausschnitte dabei ein Gesicht. Aber Mama bestand auf den Augen und boxte in jedes der Plätzchen einen Marmeladeklecks, der wie das blutunterlaufene Auge eines Herausforderers von Wladimir Klitschko nach einem K.-o.-Sieg in der achten Runde aussah. Mit anderen Worten: Die Augen waren der pure Horror. Ich mochte gar nicht mehr hinsehen und hoffte inständig und insgeheim, dass die Hitze im Backofen damit ein Einsehen hätte und sie zuschmelzen ließ.
    Dann jedoch fand meine Assistenz ein jähes Ende. Und zwar, als die Zimtsterne aus dem Ofen gezogen wurden. Sie waren wider Erwarten und gegen alle Wahrscheinlichkeit wohlgeraten und sonderten genau die Art von Weihnachtsduft ab, die allen die Tränen adventlicher Vorfreude in die Augen treibt.
    Wieder stellte Mama das Backblech vor mich hin auf den Tisch.
    Es war wie ein Déjà-vu .
    Oder wie ein Déjà-entendu .
    »Oh, schau mal … sind die nicht herrlich geworden?«
    »Mmh.«
    »Magst du probieren?«
    »Warum nicht?«
    Der Mensch lernt schwer, und ich hatte nichts kapiert. Nicht das Geringste. Diesmal steckte ich mir gleich zwei Plätzchen in den Mund.
    Grundgütiger!
    Was ist das für ein Zeug?
    Mit diesem Flammenwerfer kann man getrocknete Farbe vom Highway lösen! Ich würde zwei Maß Bier brauchen, um das Feuer zu löschen.
    Nun weiß jeder – spätestens seit dem Essen in irgendeinem indischen Restaurant –, dass man allzu Heißes und Scharfes nicht mit Flüssigem bekämpfen soll. Es macht alles nur noch schlimmer. Aber ich, der Unbelehrbarste von allen, stürzte wie von Sinnen zum Wasserhahn, ließ es laufen und laufen und hielt meinen Mund in das strömende Nass. Doch die Erleichterung blieb aus. Es wurde nur noch unerträglicher.
    Mir war nicht klar, was ich außer Schmerzen hier noch schmecken könnte. Mein Rachen fühlte sich an, als hätte ich Rohrfrei geschluckt. Ich befühlte meine Wangen – was bahnte sich da an? Eine Gesichtslähmung? Die einsetzende Wirkung eines Aphrodisiakums? Man hätte mir eine Granate in den Mund stecken und den Bolzen ziehen können – ich würde nichts fühlen. Die Welt hörte sich wie ein großer rauschender Wasserfall an. Mein Hemd war voller Zimtsternreste. Wenigstens würden sie nicht erst bei der Autopsie erfahren, was mich getötet hat. Ich beschloss, das Atmen einzustellen, es

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