Weihnachten mit Mama
kamen nie heil an. Was wir aus den Päckchen zerrten, waren immer Gliedmaßen aus Hefeteig, die man manchmal nicht einmal zu etwas Menschenähnlichem zusammensetzen konnte. Die Rosinenaugen kullerten uns entgegen, sie fielen aus dem Gesicht des Stutenkerls wie die Glasperlen aus dem Kopf eines alten, abgeliebten Teddybären. Aber die kleine weiße Tonpfeife war obligatorisch. Und wir konnten froh und dankbar sein, wenn wenigstens sie den Postweg unversehrt überstand. Im Mund oder auch nur im Gesicht des süßen Mannes aber befand sie sich nie.
Es war also an diesem Tag, als Mama auf die Idee verfiel, in all dem Durcheinander unserer bis dato ja nicht gerade unturbulenten Festvorbereitungen auch noch den Backofen anzuwerfen. Ich machte den schüchternen Vorschlag, dass man ja etwas Gebäck aus der Bäckerei besorgen könnte, wenn dieses pappsüße Zeug, an dem sich alle die ganze Adventszeit hindurch schon satt gegessen hatten, unbedingt noch auf den Weihnachtstisch musste. Doch Mama hatte dafür nur ein barsches »Papperlapapp!« übrig.
»Auf den Weihnachtstisch gehört selbst gebackenes Gebäck. Punktum. Das ist nun mal so. Und für unsere Gäste ist das Beste gerade gut genug, das lass dir gesagt sein. Du darfst mir aber helfen …«
Das Entsetzen stand mir ins Gesicht geschrieben. Es war augenblicklich aus den tiefsten Verliesen meiner geknechteten Seele gekrochen und hatte sich meiner Mimik bemächtigt, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Es fiel sogar Mama auf, die sonst unempfindlich gegen jegliche Äußerung der Skepsis gegenüber ihren Vorschlägen und Aufforderungen ist.
»Was schaust du so? … Als hätte ich dir einen unsittlichen Antrag gemacht!« Sie kicherte, schamlos, wie mir schien. »Ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst … selbstverständlich.«
Die Mafiamama hatte ihre Brut fest im Griff. Ich wand mich, ich stöhnte, ich gab klein bei. Die Titanin der Tiegel und Töpfe, die Heldin am Herd brauchte natürlich einen Gehilfen, den sie nach Lust und Laune schikanieren konnte. Immerhin standen keine Weckmänner mehr auf dem Programm, die hatten bereits zum ersten Advent ihren Weg nach Münster, Traunstein und in alle Welt gefunden – zerbröselnd versteht sich. Dieses Jahr war der appetitliche Kerl völlig unkenntlich angekommen, und nicht einmal Professor Karl-Friedrich Boerne aus dem Münsteraner Tatort hätte ihn auf dem Seziertisch seiner stahlblitzenden Pathologie identifizieren können. Vermutlich hätte er in dem Gebilde nicht einmal die Karikatur eines menschlichen Wesens erkannt. Er hätte sich nur über die kleine weiße Pfeife gewundert und sie an seine zwergenhafte Assistentin weitergegeben: »Alberich, diese Winzigkeit ist wohl etwas für Sie!«
Doch Zimtsterne, Vanillekipferl, Marzipannüsschen, Spritzgebäck und Spekulatius stellten keine geringere Herausforderung dar. Es wurden Unmengen an Teig geknetet und ausgerollt, und mein subordinärer Part bestand darin, Plätzchen auszustechen, während die apotheotische Tätigkeit des Verzierens natürlich wieder Mamas Hoheitsterrain war. Und natürlich war es ihr nicht recht, in welcher Größe und in welchem Krümmungsgrad ich die Vanillekipferl formte, da musste nachgebessert werden. Manches in Mamas Augen verunglückte Kipferl fand sich flugs in der Reparaturabteilung wieder.
»Meine Güte, Buberl! Das sieht ja aus wie eine Gurke. Die Kipferl müssen klein sein.«
Das Diminutiv der Gebäckbezeichnung war mir keineswegs entgangen. Wohlgemerkt, ich hatte nicht etwa »Kipf« gemacht, es ging hier nur um Millimeter. Also wurden die Kipferl wieder zu einem Teigklumpen degradiert und erneut in Form gebracht, diesmal strikt nach den Krümmungsvorschriften der Europäischen Union.
Dann war das erste Blech endlich gefüllt. In Reih und Glied lagen die Kipferl, als hätte sie der preußische Hofzuckerbäckermeister persönlich im Takt des Präsentiermarsches angeordnet. Nicht zu weit auseinander, nicht zu eng aneinander. Sie schmiegten sich in Exerzierform, die auch einen KPdSU-Generalsekretär bei der Mai-
parade vor dem Kreml in Entzücken versetzt hätte. Mama ließ einen letzten prüfenden Blick über das Backblech wandern, dann sollten die Kipferl ihr weißes Kleidchen bekommen.
»Mama?«
»Ja, Buberl, was ist denn?«
»Kommt der Puderzucker nicht ganz zuletzt … ich meine … wenn die Kipferl fertig gebacken aus dem Ofen kommen?«
»Nein, nein, Schätzchen. Den backen wir in unserer Familie immer mit … das ist so
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