Weihnachten mit Mama
… und wir, ich meine, Johannes und ich, nur als Beispiel … wir können da nicht mithalten. Da müssten wir mindestens Smoking tragen.«
»Mindestens«, sekundierte ich.
»Und alle Frauen würden sich falsch angezogen vorkommen. Wie soll ich sagen … kritisiert. Sie würden sich unzulänglich fühlen. Und das wirst du nicht wollen, oder?« Nun gelang Papa ein leicht drohender Unterton.
Sie blickte uns an, unschlüssig, als sei sie sich über die Höhe des Strafmaßes noch nicht schlüssig. Doch dann nickte sie. »Ihr habt recht. Keine Perlen vor die Säue.«
Wir duckten uns.
»Mitternachtsblau … das passt auch nicht zur Dekoration. Rot und grün … weihnachtlich, meine ich. Da sehe ich ja aus wie in Baci -Knisterpapier eingewickelt. Wie eine Frau, der nichts lieber wäre, als risse ihr jemand das Kleid vom Leib. Wie eine Ballkönigin … allerdings ohne Ball.«
»Wie eine Ballkönigin«, echoten wir.
Die Kleider wurden kürzer, Kostüme wurden vorgeführt, Kombinationen vorgeschlagen. Alles schön und gut, mehr oder weniger. Aber dann doch zu elegant, zu jung, zu alt, zu protzig, zu unauffällig. Auch das kleine Schwarze fehlte nicht, das Nonplusultra an Understatement, das Papa zu der Bemerkung veranlasste: »Ist jemand gestorben?«
»Fritz, du hast aber auch überhaupt keine Ahnung. Muss ich dir jetzt mal sagen. Das ist der Klassiker schlechthin, damit kannst du nichts falsch machen. Das kannst du immer tragen.«
»Ich?«
»Nein, nicht du. Ich meinte das in übertragenem Sinn, das weißt du genau. Du musst mich hier nicht ostentativ missverstehen. Das kleine Schwarze. Von Chanel. Weißt du? Ach was, du weißt gar nichts. Du würdest es nicht einmal im Chanel-Schaufenster erkennen.«
»Na, hör mal«, protestierte mein Vater. »Ich hab nur einen Witz gemacht.«
»Hat jemand gelacht? Na, siehst du. Sprachwitz kannst du dir aufheben. Für deine Rede.«
»Rede? Was für eine Rede?«
Mama stemmte empört die Fäuste in die Hüften. »Also … du wirst doch auf meiner Geburtstagsfeier wohl eine Rede halten!«
»Eine Laudatio!«, feixte ich.
»Ja, genau, eine Laudatio.« Mama blickte ihren Mann herausfordernd an.
»Ist schon gut«, knickte der ein. »Ich werde ein paar witzige Worte für dich finden.«
»Keine witzigen Worte, Fritz. Warme! « Und dann übergangslos: »Schön, das kleine Schwarze also auch nicht. Hätte mich bei euch Banausen auch überrascht.«
Diesmal blieb sie lange weg, und die Blicke, die ich mit Papa tauschte, waren von der wachsenden Euphorie inspiriert, dass wir es womöglich überstanden hatten. Endlich.
Dann – chapeau! hurra! – kam er doch noch, der modische Volltreffer.
»Welche Farbe nun?«, hatte Papa noch gemurmelt, als wir wieder Schritte im Flur hörten, und mir war nicht klar, ob dies wirklich eine Frage war, die er an mich richtete, oder nur eine Vergewisserung des Unumgänglichen. So, wie man sich in der Opernloge zurechtsetzt und sagt: »Und nun der vierte Akt.« Zur Selbstbestätigung, zur Vorfreude, das kann alles Mögliche bedeuten.
Dann stand sie da, ohne Trara, in der Tür, beide Hände am Rahmen. In einem perlgrauen Seidenkleid, das ihre Konturen nonchalant umschmeichelte, vorn hochgeschlossen und streng, hinten mit einem Ausschnitt festlich. Sie hatte sich eine Kette umgelegt, die mit dem silbernen Herzen, in das sich ein Brillant eingenistet hatte. Es schien sich in der Seide zu spiegeln. Die Haare hatte sie hochgesteckt, mit einer blau schimmernden Spange festgehalten. Die Königin der Nacht, nicht aufgetakelt, nicht übertrieben, aber anbetungswürdig. Einfach schön.
Sie sonnte sich in meinen bewundernden Blicken. Papa blieb stumm, aber auch ihm war anzusehen, dass sie diesmal ins Schwarze getroffen hatte.
»Ich hab’s gewusst«, verkündete sie triumphierend. »Hatte es gleich als Erstes an. Man soll immer seiner ersten Wahl trauen, wisst ihr?«
»Oh, nein.« Nur ich hörte Papas kleinen Seufzer. Ja, die ganze Modenschau war umsonst gewesen. Warum nicht gleich so, sagte der Blick, den er mir zuwarf. Dann stand er auf, umarmte sein Eheweib, drückte ihr einen Kuss auf die Wange, die sie ihm generös hinhielt. »Das ist es«, sagte er nur. »Perfekt.«
»Ich weiß«, sagte sie.
9
Stell dich nicht so an!
I ch gebe zu, es gab in diesen Tagen vor dem Fest aller Feste nicht nur einen Augenblick der dräuenden Furcht. Einer jedoch stellte sich ein, als ich Julie am späten Abend in einem langen Telefonat von meinem anstrengenden Tag
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