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Weihnachten mit Mama

Weihnachten mit Mama

Titel: Weihnachten mit Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Thanner
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gewagt, kam sie in einem Traum in Rot an. Genauer: in einem Albtraum in Rot.
    »Brennt es?«, fragte Papa. »Hast du die Feuerwehr gerufen?«
    Diesmal schnaubte sie nur und hoffte, sich die Bestätigung von mir zu holen. »Buberl, was meinst du?«
    Buberl hätte jetzt unter gar keinen Umständen ehrlich sein dürfen. Und Buberl war auch nicht ehrlich. Buberl räusperte sich nur und blickte mit weit aufgerissenen Augen auf dieses Kleid, das einer Schützenkönigin von Bad Tölz würdig gewesen wäre, kaum jedoch einer Dame, die ihren fünfundsechzigsten Geburtstag im stillen Kreis ihrer Familie zu verbringen gedachte.
    »Es ist … es ist … spektakulär.« Erleichtert atmete ich aus, froh darüber, dass mir ein solches Wort eingefallen war. Alles andere wäre dem Ereignis dieses Kleides vollkommen unangemessen gewesen. Hörte ich da womöglich ein Kichern hinter Papas Zeitung?
    »Spektakulär … ach so. Also nicht so … geeignet?«
    »Nicht ganz, Mama. Wenn du mich schon fragst. Ich meine, es sieht hinreißend aus …« Ich bekam einen Fußtritt unter dem Beistelltischchen. »Aber vielleicht ist es etwas overdressed … wenn du weißt, was ich meine. Nur ein bisschen«, fügte ich entwaffnend hinzu.
    »Ich verstehe. Es passt auch nicht ganz zum Heiligabend, wenn ich es mir recht überlege.«
    »Genau, Mama. Das wollte ich sagen.«
    Sie rauschte hinaus.
    »Jetzt kommt grün«, orakelte Papa. »Da gehe ich jede Wette ein.«
    Ich hatte nicht den Mut, dagegenzuhalten.
    Die Tür ging wieder auf.
    »Und wie findet ihr das ?«
    Es war grün. Es war durchaus … akzeptabel. Nicht lang, nicht kurz. Aber es hatte eine Schleife. Eine Riesenschleife, um genau zu sein. Sie würde die gesamte Weihnachtsdekoration in den Schatten stellen. Opernball in Wien – perfekt. Geburtstag und Weihnachten an einem Tag – nicht ganz so perfekt. Um das Mindeste zu sagen.
    Papa brachte es wieder auf den Punkt.
    »Gehen wir zum Jägerball?«
    Mama schnaubte verächtlich. »Fritz, du bist wirklich keine große Hilfe«, kritisierte sie ihren Mann. »Dir gefällt ja gar nichts . Meinst du, mir macht das Spaß, hier vor euch Ignoranten das Mannequin zu spielen?«
    Genau das meinten wir. Wenn wir ehrlich sein sollten. Doch Ehrlichkeit war hier nicht gefragt.
    Sie blickte in unsere skeptischen Gesichter, auf denen Fragezeichen Walzer tanzten.
    »Und warum nicht, wenn ich fragen darf?«
    »Darfst du, darfst du«, gab Papa sich generös. »Dafür sind wir ja da.«
    »Also?« Sie schaute uns herausfordernd an, als gebe es an unserer Reaktion irgendeine Schwachstelle, die es nur noch herauszufinden und zu benennen galt.
    »Betty, wirklich …«, meinte Papa mit einem leicht enervierten Unterton, als sei es eine Zumutung, das auch noch zu begründen. »Dieses Kleid hast du zuletzt zur Hochzeit deiner erotisch etwas wahllosen Freundin Eleonore getragen. Ihre zweite, wenn ich mich recht erinnere. Ist ja inzwischen schon wieder geschieden. Hat also kein Glück gebracht.«
    »Wenn du meinst.« Abgang Mama.
    Diesmal dauerte es länger, bis sie zurückkehrte. Dafür hatte sie einen Trumpf am Körper, gegen den nur schwer etwas einzuwenden war. Das Kleid war blau – wie nicht anders zu erwarten –, es war tief ausgeschnitten, es sah – zugegeben – hinreißend aus. Romantisch. Umwerfend. Als sei es ihr direkt auf den Leib geschneidert worden. Es betonte ihre Figur, die noch immer tadellos war. Und auch mein Vater konnte sich der Offenbarung dieser Erscheinung nicht entziehen – diesmal fiel ihm wirklich der Zigarillo aus dem Mund. Direkt ins Cognacglas, das er in der Hand hielt und eben an die Lippen zu führen gedachte.
    »Oh«, sagte er nur.
    »Da bist du hin und weg, nicht wahr?«, frohlockte Mama. »Würdest mich glatt noch einmal heiraten, oder?«
    Papa nickte.
    Ich nickte auch, obwohl die Frage wohl kaum an mich gerichtet war.
    »Es ist … sehr schön. Wirklich! Du siehst hinreißend aus.«
    »Nicht wie Grace Kelly mit Blue Curaçao an der Bar?«, spielte sie auf Papas Farbenargumente an.
    »Nein, nein … und doch …«
    »Ja?« Ein bisschen drohend. Aber nur eine Nuance.
    »Und doch … nicht ganz geeignet. Zu dem Anlass, meine ich. Du bist … du bist …«
    » Ja?« Eine kaum wahrnehmbare, aber doch unüberhörbare Nuance der Marke: »Pass auf, was du sagst!«
    Prompt zog Papa den Kopf ein, als habe man einer Schildkröte gesagt, sie solle nicht so vorwitzig sein. »Du bist … wunderschön in diesem Kleid. Aber, schau mal, die anderen Gäste

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