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Weihnachten mit Mama

Weihnachten mit Mama

Titel: Weihnachten mit Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Thanner
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Tradition, weißt du?«
    Von dieser Tradition hatte ich noch nie gehört, geschweige, dass ich sie jemals geschmeckt hätte. Ich mochte mir nicht ausmalen, welche chemischen Reaktionen der Zucker mit dem Teig im Backofen eingehen würde. Ich brummte nur und unterließ jede weitere Diskussion, die ohnehin zu nichts führen würde.
    Ein Pfund Puderzucker wurde in ein überdimensionales Sieb gefüllt, aber die exakte Zielführung war Mamas Sache nicht. Sie stäubte … wupp, wupp, wupp … den Puderzucker aus so großer Höhe und mit Schwung übers Blech, dass die Kipferl wohl den geringsten Teil des süßen Schnees abbekamen. Die beiden braven Bäckersleut dafür umso mehr. Und der Tisch. Und der Fußboden. So war es wohl Tradition.
    Ich musste so prusten und lachen, dass die Sache dadurch noch um einiges schlimmer wurde. Mamas Haar war im Nu bestäubt und so weiß, wie es ihrem Alter entsprach. Nein, pfui! Das war eine böse Bemerkung. Streng fühlte ich durch die Zuckerwolke Mamas Blick auf mich gerichtet.
    »Johannes … du bist wirklich noch ein Kind! So etwas Albernes!«
    Sie schob das Blech in den Ofen, stellte die Temperatur und die Zeitschaltuhr ein – ich hoffte nur, richtig – und wandte sich dem zweiten Akt der Himmelsbäckerei zu.
    Zimtsterne auszustechen, bereitete mir keine Probleme und bot auch keinen Anlass zur Beanstandung, schließlich war die Form vorgegeben und nicht meiner Schusseligkeit ausgesetzt. Aber Mamas Applikation ließ doch erheblich zu wünschen übrig. Sie hatte einen Zuckerguss mit Zimtgewürz vorbereitet, der in der Konsistenz so zäh geraten war, dass er noch vor dem Auftragen sozusagen vor unseren Augen gerann. Der Backpinsel sträubte sich und kleckste, dass es eine wahre Freude war. Im Kindergarten hätte es nicht dilettantischer und lustiger zugehen können. Von einem gleichmäßigen Zuckergussauftrag konnte beim besten Willen keine Rede sein. Nun flucht meine Mutter nie, ihr graben sich nur die Falten tiefer in die Stirn, so konzentriert geht sie zu Werk. Und auch diesmal suchte sich ihre Zungenspitze vorwitzig den Weg durch die Lippen. Schließlich war der Zuckerguss so hart, dass an ein weiteres Auftragen nicht zu denken war. Allerdings hatte erst ein Drittel der Sternchen sein weißes Mützchen bekommen.
    »Was machen wir nun?«, fragte ich, wobei ich mir scheinheilig das Lachen verkniff.
    Mamas Pragmatismus ist legendär.
    »Der Rest bekommt keinen Zuckerguss. Ist ganz gut so. Wir müssen ja alle auf die schlanke Linie achten, da ist zu viel Zucker nur Gift. – Auch für dich«, schloss sie und klopfte mir auf den Bauch, der nun wirklich nicht der Rede wert war. Allerdings hatte sie vorher nicht den Backpinsel beiseitegelegt und also flugs meine Schürze – ja, ich trug eine solche! – mit Zuckerbröckchen übersät. Übermütig, wie sie war, stupste sie mir mit dem Pinsel sogar noch auf die Nase.
    »Hey, Mama, lass das! Was soll das denn?«
    »Ach, du kleiner Weihnachtsmann, nun stell dich mal nicht so an … Huch, das reimt sich sogar.«
    »Aber es ist kein Gedicht … die Metrik stimmt nicht.«
    »Besserwisser!«
    »Zimtzicke!« – Fand ich besonders witzig!
    »Nichtsnutz!«
    »Angeberin!«
    Sie drehte sich so heftig um, um nach mir zu schlagen – spielerisch, versteht sich –, dass das Backblech in bedrohliche Schieflage geriet und beinahe vom Tisch
gestürzt wäre, hätte ich es nicht im letzten Augenblick aufgefangen. Die Zimtsterne klebten zwar wie mit Uhu befestigt auf dem Backpapier, doch das Papier war natürlich nur lose aufgelegt und begann so elegant vom Blech zu rutschen, dass ich es nur mit einer irrwitzig uneleganten Bewegung auffangen konnte. Doch nichts Schlimmes geschah, im Bruchteil einer Sekunde war alles wieder in der Position, wie es sein sollte. Nur Mama hatte einen gellenden Schrei ausgestoßen. Gottlob war das Fenster zu, sonst hätten Brockerhoffs sicherlich noch die Polizei gerufen. Elisabeth Siebenschön wurde bei dem Versuch verhaftet, ihren Sohn Johannes mit Zuckerguss zu erschlagen. Das Opfer wurde mit schwersten Prellungen ins Krankenhaus Barmherzige Brüder eingeliefert und kämpft auf der Intensivstation um sein Leben.
    Wir aber kämpften weiter mit Blechen und Backmischungen. Mama zog die Vanillekipferl aus dem Rohr, gerade noch rechtzeitig, bevor sie so dunkel wurden wie Afroamerikaner, um es mal politisch korrekt zu sagen. Oder wie Maximal-Pigmentierte. Und schob das Blech mit den Zimtsternen in die glühende Hitze, wo sie so fest

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