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Weihnachten mit Mama

Weihnachten mit Mama

Titel: Weihnachten mit Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Thanner
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seinen Freunden, den anderen Müllsäcken stellte, die ihn schon frierend im Keller erwarteten.
    Bei dieser Gelegenheit durfte ich dann gleich die Krippenkisten nach oben tragen. Und auch diese waren nicht schwer, sondern von engelhafter Leichtigkeit. Etwas unhandlicher war allein der große Stall aus dunklem Holz und mit strohgedecktem Dach – natürlich nicht so eine heruntergekommene, aus Sperrholz zusammengezimmerte Baracke, sondern ein Stallpalast mit Nebenräumen und Dachboden und sogar einer geheimen Kammer mit einer winzigen Tür, in die ein Herz geschnitzt war. »Die Speisekammer«, hatte Mama sie genannt. Bei mir hieß sie nur die »Hirtentoilette«.
    So genau es Mama mit ihren Weihnachtsvorbereitungen und Papa mit seiner Baumschmückung nahm – um die Krippe kümmerten sie sich nicht. Die ist seit jeher mein Metier. Meine Domain, sozusagen. www.johannesstelltdiekrippeauf.de
    Meine Eltern gingen zu Bett. Nun war Ruhe, nun war Zeit für meinen bescheidenen Beitrag zum Fest.
    Und ich bemühte mich wie früher jedes Jahr um Abwechslung, um gewisse Variationen. Natürlich legten der Stall und die Figuren das Ensemble fest, und so mutig, das Christkind mal auf den Dachboden zu verbannen und Maria und Josef eine Stalllaterne anbeten zu lassen, war ich nicht. Mir fehlte, was Weihnachten betraf, jegliches rebellische Element. Hier war ich so spießig, wie ich nur sein konnte und vermutlich in den tiefsten Schichten meines Selbst auch war. Schon in meiner Kindheit hatte ich keine Abwechslung, keinerlei Abweichen vom heiligabendlichen Drehbuch geduldet. Es musste immer gleich ablaufen. Immer das gleiche Prozedere, immer dieselben Lieder. Auch Robert, Laura und Dorle bestanden darauf, dass die Inszenierung so blieb, wie sie seit uralten Zeiten war. Sie war für uns wie eine Bastion, ein Fels in der Brandung der modernen Welt, die sich im Takt der Globalisierung jeden Tag, jede Stunde änderte. Nur Weihnachten sollte so bleiben, wie es immer war und seit jeher Tradition. Wie wir es bei den Großeltern und auch bei den Eltern Jahr für Jahr erlebt hatten.
    Ich steckte den goldenen Stern im Krippendach fest – die Navigation für die himmlischen Heerscharen, all die Engel, welche die unteren Regionen des Christbaums bevölkerten. Der Stall selbst stand nicht direkt auf dem Boden unter der Tanne, sondern auf einem Podest, sodass man das gesamte Geschehen gut überblicken konnte, ohne wie die Hirten auf die Knie zu fallen. Das Podest war mit Moos bedeckt, und so ließ sich eine hügelige Landschaft bauen. Jetzt war ich Mama dankbar, dass sie auf dem Weihnachtsmarkt an das frische Moos gedacht hatte, denn die Bestände vom vorletzten und letzten Jahr waren nicht mehr grün, sondern grau und braun und von muffigem Geruch. Ein erdiger, würziger Duft entströmte jedoch dem frischen Moos und verband sich mit dem Tannenduft des Weihnachtsbaums zu einer den ganzen Raum erfüllenden Ambrosia.
    Die kleine Holzkrippe kam wie stets in die Mitte des Stalls, Maria und Josef daneben. Maria war nicht mit betenden Händen dargestellt, sondern mit ausgebreiteten Armen. Josef war etwas gebeugt und stützte sich auf einen Stock; in seiner Linken hielt er eine Laterne.
    Es waren schöne Figuren, mit schönen Gesichtern und schönen Kleidern aus Filz und Stoff und goldenen Gürteln. Ich legte etwas echtes Stroh in die Krippe, das Christkind selbst würde hier erst am Heiligabend Aufnahme finden. Ochs und Esel waren aber schon da, auch die Hirten und die Schafe auf dem Feld. Und von ganz hinten, aus der Ferne näherten sich bereits die Heiligen Drei Könige auf ihren Kamelen. Aber sie waren noch weit weg …
    Der Schwund beziehungsweise der Krankenstand war dieses Jahr minimal. Kein Bein war abgebrochen, keine Nase angeschlagen, kein Engel hatte einen seiner Flügel verloren. Alle waren gut beisammen und hatten das Jahr in der Kiste heil überstanden. Der versehrte Hirte, der vor Jahren schon einen Fuß eingebüßt hatte, wurde so aufgestellt, dass das Malheur nicht sichtbar war. Er wurde auch dieses Jahr wieder in ein besonders dickes Stück Moos gesteckt, in das er bis zu den Knien versank und in dem er so Halt fand.
    Meine Lieblingsfiguren sind seit jeher die Schafe. Sie sind entzückend, ja bezaubernd. Sie stehen, knien, liegen dekorativ im Moos, eines wird sogar von einem Hirten über der Schulter getragen. Sie haben erwartungsfrohe Gesichter, irgendwie intelligent, gar nicht schafmäßig. Es gibt insgesamt fünfzehn von ihnen, manche

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