Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weihnachten mit Mama

Weihnachten mit Mama

Titel: Weihnachten mit Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Thanner
Vom Netzwerk:
Zeit, flüsterte mir ein Engelchen ins rechte Ohr, dann nennst du die goldene Decke dein Eigen. Schließlich war nicht nur unser Esstisch ein Monstrum und nicht nur unsere diesjährige Tischfarbe Gold. Obwohl die Auswahl am letzten Tag vor Weihnachten schon deutlich dezimiert sein wird, flüsterte mir ein Teufelchen ins linke Ohr.
    Innerhalb der folgenden Stunden absolvierte ich einen Schnellkurs in Tischdekoration und avancierte schließlich zum Experten für weihnachtliche Tischkultur, dem niemand ein X für ein U vormachen konnte. Ich fachsimpelte mit Verkäuferinnen, die schon entspannt – oder genauer: abgespannt – waren, schließlich würde die diesjährige Saison in wenigen Stunden enden, mit Abteilungsleitern, mit Geschäftsführern. Ich schaute mir Dutzende, wenn nicht gefühlte Hunderte von Tischdecken in allen nur erdenklichen Formen, Formaten und Farben an. Was für eine Überflussgesellschaft, dachte ich, halb entrückt, halb empört, die sich derart in Stoffen und Staffagen ergehen kann. Doch das Teufelchen sollte recht behalten: Entweder hatte die Tischdecke die richtige Größe, war aber nicht goldfarben, oder sie war irgendwie golden, aber zu klein. Alles Runde und Ovale schied von vornherein aus, auch die so beliebten Tischläufer kamen nicht infrage. Mamas Instruktion war eindeutig gewesen und ließ für unkonventionelle Ideen keinerlei Spielraum. Dann endlich – im achten oder neunten Geschäft – breitete der Verkäufer mit sichtlichem Stolz eine goldene Tischdecke aus, die sogar leicht gefüttert und mit weihnachtlichen Figuren bestickt war. Himmel noch mal, war die schön! Oder hübsch-hässlich, wie Heinz Rühmann es sagen würde.
    Der Verkäufer – ein Schild an seinem Revers wies ihn aus als »Hier bedient Sie Herr Friedrich« – entfaltete die Tischdecke mit weit ausholenden Armbewegungen, und sie nahm tatsächlich imponierende Ausmaße an. Sie sah aus wie der Krönungsmantel einer mittelalterlichen Königin. Mit vielsagendem Blick zauberte Hier bedient Sie Herr Friedrich ein Zentimetermaß hervor, das er flugs an dem ausgebreiteten Stoff ausrichtete.
    »Sehen Sie … perfekt! Genau fünf Meter.«
    Ich musste den Herrn über Glanz und Glitzer enttäuschen. Und seufzte einmal tief. »Leider nicht … leider, leider nicht!«
    »Wieso? Sie wollten doch eine Länge von fünf Metern.«
    »Der Tisch ist fünf Meter lang. Und die Tischdecke kann ja nicht einfach so abschließen, sie muss an jeder der beiden Seiten noch überhängen. Verstehen Sie?«
    Herr Friedrich verstand. Er nickte bedauernd. »Ich hatte Sie so verstanden, dass Sie fünf Meter Stofflänge brauchen. Bei vier Meter fünfzig Tischlänge zum Beispiel.«
    Mir kam eine Idee.
    »Haben Sie nicht zwei Decken dieser Art? Dann könnten wir sie wenigstens in der Mitte übereinander legen.«
    Herrn Friedrichs Bedauern kannte keine Grenzen. Nun nickte er nicht mehr, sondern hob mehrmals die Schultern, und das Nicken ging in Kopfschütteln über. Was ihm das Aussehen eines zutiefst bekümmerten Teddybären gab, dessen Kopf sich leicht gelockert hatte.
    »Nein … diese Decke ist die letzte. Was anderes in Gold haben wir nicht mehr auf Lager. Alles ausverkauft. Kann es nicht vielleicht doch eine andere schöne weihnachtliche Farbe sein? In tiefdunklem Rot hätten wir noch … mit Goldstickerei … immerhin.«
    Nun war es an mir, den Kopf zu schütteln. Verflucht … so nahe dran! Ich verabschiedete mich in tiefer Kümmernis, aber gleichwohl herzlich von Hier bedient Sie Herr Friedrich , der die Tür seines Geschäfts mit einem Seufzer hinter mir schloss.
    Im nächsten Geschäft gab es – endlich! – eine sechs Meter lange Golddecke, aber sie war aus Polyester und roch nach billigem Kunststoff, der die Festgesellschaft unweigerlich in eine Massenmigräne stürzen würde. Im Geschäft darauf wollte man mich zur Trendfarbe Rosa überreden, und im übernächsten gedachte man, mir die Ladenhüter vom vergangenen Jahr anzudrehen – Rosa war ausverkauft und »Gold können Sie heuer wirklich nicht auflegen!« Einen Laden weiter beantwortete man mein Begehr mit einem maliziös-mitleidigen Lächeln und machte sich erst gar nicht die Mühe, mir etwas anderes aufschwatzen zu wollen.
    Dann platzte mir der Kragen, wenn auch nur innerlich. Ich verfluchte das Fest. Ich verfluchte alle runden, ovalen, kleinen Weihnachtstische. Ich verfluchte alles Gold dieser Erde. Ich verfluchte die Stoffindustrie, die Farbindustrie, die gesamte Weihnachtsindustrie.

Weitere Kostenlose Bücher