Weihnachten mit Mama
verständnislos.
Ja, warum hatte ich nicht? Weil es im Keller stockfinster ist, so dunkel wie im Arsch des Weihnachtsmanns, hätte ich sagen sollen. Ich sagte es nicht. Ich sagte gar nichts mehr.
Der titanenhaften Anstrengung, die drei Kisten wieder in völliger Umnachtung in den Keller und die drei sicherlich nicht weniger schweren Siebenschön-Geschirrkisten nach oben zu schleppen, fühlte ich mich nicht mehr gewachsen.
Mein Schutzengel war nicht schlafen gegangen. Er war hellwach und gab mir eine Idee ein, die ich für genial hielt.
Ich sprang auf. »Wo ist sie …?«
»Wo ist was?«
»Na, die Karte … die Visitenkarte von Zweihundert-Kilo-Schottenhemd?«
»Von wem?« Mamas Engel schien nicht so wach zu sein wie meiner.
»Himmelsakra«, schrie ich. »Von dem Kerl, der unseren Baumständer geschleppt hat.«
»Ach, die«, sagte Mama gedehnt. Ein Anflug von Schuldbewusstsein schlich über ihr Gesicht. »Die … die habe ich weggeworfen. Was sollen wir damit?«
» Was sollen wir damit?« , schrie ich.
»Johannes, bitte … nicht in diesem Ton!«
» Wo … ist … diese … Karte?«
»Herrje, nun veranstalte hier nicht so einen Affentanz. Im Mülleimer, wo sonst?«
Ja, wo sonst? Da gehören Visitenkarten ja auch hin.
Ich stürzte in die Küche. Der Mülleimer war voll, bis oben hin. Mich würgte. Ich sprach meiner rechten Hand Mut zu, als sie sich einen Weg durch glitschige Eierschalen, halbvolle Crème-fraîche -Becher, einen Rest Gulasch bahnte – zumindest hoffte ich, dass es Gulasch war. Wann immer sie Papier zu greifen bekam, zog ich sie wieder heraus. Eine Verpackung von Instant-Kaffee, ein überdimensionales Preisschild, eine Ansichtskarte von Brockerhoffs Städtereise nach Rothenburg ob der Tauber, eine Visitenkarte … jedoch von einem Feinkostladen.
Dann … endlich … die Karte. Ich zog sie heraus, blickte sie an wie den Heiligen Gral, wischte sie ab. Sebastian Neureuther, Taxi & Transporte aller Art , las ich. Und eine Telefonnummer.
Ich stürzte mit der Karte in den Flur und wählte mit bebenden Fingern die Mobilnummer von Mr Big. Es klingelte … tidelitatü … tidelitatü … tidelitatü … Dann hob er ab.
»Neureuther!«, dröhnte es aus dem Hörer. Wenn es ein Weihnachtswunder gab, dann war es dieses.
»Herr Neureuther!«, rief ich erleichtert. »Wie toll, dass ich Sie antreffe. Hier ist Johannes Siebenschön aus der Franz-Joseph-Straße … Sie haben uns vorhin den Baumständer transportiert.«
»Jaaa?«, sagte er gedehnt, als erwartete er eine Beschwerde.
»Herr Neureuther … ich brauche Ihre Hilfe … Noch einmal … Könnten Sie vorbeikommen … jetzt gleich?«
»Bin gerade am Taxistand Elisabethplatz. Kein Problem, Herr Siebenschön. Bin gleich bei Ihnen. Passt er nicht?«
»Passt wer nicht?«
»Der Baumständer. Wollen … müssen Sie ihn umtauschen?«
»Nein … nein. Es geht um Kisten … superschwere Kisten, wissen Sie. Ach, kommen Sie einfach vorbei … Und …«
»Ja?«
»Danke.« Ich atmete erleichtert aus.
Ein Hebel. Mein Vater hatte recht. Wie immer. Man braucht einen Hebel.
Es bedarf keiner eingehenden Schilderung, mit welcher Grazie es Mr Big, dem brummigen Weihnachtsbären, gelang, drei Kisten nach unten und drei Kisten nach oben zu schleppen. Er schaffte es sogar, den kleinen Stromausfall, der wirklich nicht der Rede wert war, zu beheben und den Sicherungshebel nach oben zu drücken. Die Lampen gingen an und tauchten die ganze Welt in ein überirdisch schönes Licht. Zumindest kam es mir so vor. Es war heller, einfach irgendwie heller. Die Verliese der vergessenen Dinge lagen in gleißendem Schein vor uns und verloren alles Kellerartige. Brockerhoffs Keller war offen, wie immer. Siebenschöns Keller war abgeschlossen, wie immer. Mamas Kisten waren dunkelrot, natürlich. Ich war ein Idiot, natürlich.
Und zum Schluss wurde der Zweihundert-Kilo-Schottentitan zum Weihnachtsmann. Als ich erneut mein Portemonnaie zückte, um ihn zu entlohnen, winkte Neureuther generös ab. Und zwinkerte mir verschwörerisch zu.
»Da nicht für. Bin ja nicht gefahren. Und ist ja auch bald Weihnachten. Teuer genug, nicht wahr? Wenn Sie noch mal was Leichtes zu tragen haben«, er grinste anzüglich, »dann wissen Sie, wie Sie mich erreichen können. Merry Christmas, Mister! «
Er tippte an eine imaginäre Mütze und ging tänzelnden Schrittes durchs Treppenhaus nach unten. Ein Mann von anbetungswürdiger Eleganz, das stand mal fest. Wenn dies nicht der Beginn einer
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