Weihnachtsengel gibt es doch
Weise würde sie sich auflösen?“
„Nun, in meiner Vorstellung wird eine Gemeinde daran gemessen, was für Zufluchtsorte sie ihren Bewohnern bietet. Eine Kirche oder ein Tempel – das sind Zufluchtsorte für die Seele. Ein Krankenhaus oder Pflegeheim – Zufluchtsorte für den Körper. Eine Bücherei hingegen ist ein Zufluchtsort für den Geist.“ Sie schaute wieder auf ihre Notizen. „Jedes Jahr wird von unseren Schulen verlangt, bessere Ergebnisse in den Lesetests zu erreichen. Wie soll das ohne eine Bücherei gehen?“
Er kritzelte etwas auf ein Stück Papier und schob es zu ihr hinüber. Geschichten . Okay, dachte sie und atmete tief ein. Erzähl eine Geschichte.
„Unsere Bücherei existiert, weil die Menschen von Avalon sie gebaut haben. 1909 ist das ursprüngliche Gebäude bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Ein Junge kam in diesem Feuer ums Leben. Bis heute kennt niemand seinen Namen. Man nimmt an, dass er ein Landstreicher war. Traurigerweise ist das alles auch noch an Heiligabend passiert. Man vermutet, dass der Junge sich heimlich im Erdgeschoss der Bücherei versteckt und ein Feuer gemacht hatte, um sich zu wärmen. Der Verlust muss grausam gewesen sein, aber alle kamen zusammen und gaben dem Jungen ein ordentliches Begräbnis. Jeremiah Byrne, ein Mann mit viel Gemeinsinn, finanzierte den Aufbau einer neuen Bücherei, und so entstand das Gebäude, das wir alle heute kennen.“
Eddie machte eine abwinkende Geste mit der Hand. Siefing schon wieder an, ihn zu langweilen. Gute Güte, der Mann war aber auch ein anspruchsvoller Zuhörer.
„In einer kleinen Stadt wie der unseren ist eine Bücherei so viel mehr als nur ein Ort, an dem man Bücher ausleiht. Die Stadtversammlungen werden hier abgehalten. Kinder kommen nach der Schule her. Wir bieten einen Internetanschluss. Eine freie Kunstgalerie für örtliche Künstler. Eine Bücherei zu verlieren ist der Vorbote dafür, dass auch andere Geschäfte abwandern. Niemand will einen Laden in einer Stadt ohne Bücherei eröffnen.“ Sie erwärmte sich langsam für ihr Thema. „Um Ihnen einen Eindruck des menschlichen Elements in all dem zu geben: Einer unserer erwachsenen Kunden ist ein gutes Beispiel für die wichtige Rolle, die die Bücherei im Leben unserer Stadt spielt.“
Eddies Blick wurde intensiver.
„Einerseits wollte er nicht als Analphabet durchs Leben gehen, andererseits war es ihm peinlich, nicht lesen zu können. Dank der Bücherei kann ich nun persönlich mit ihm arbeiten, was es ihm ermöglicht, seine Privatsphäre zu wahren und gleichzeitig lesen zu lernen.“
„Ein Gutteil dieser positiven Einflüsse ist auf Sie zurückzuführen“, sagte Eddie.
Sie wurde rot. „Der Punkt ist: Ohne die Bücherei wäre besagter Mann niemals auf mich zugekommen.“ Sie wechselte noch einmal das Tempo. „Jeden Mittwochmorgen haben wir Kinderstunde. Die Leute bringen ihre Kinder, die im Halbkreis auf einem Flickenteppich um einen Schaukelstuhl herumsitzen, der seit über fünfzig Jahren zum Inventar der Bücherei gehört. Und jemand liest ihnen eine Geschichte vor. Das sind die Momente, in denen die Magie entsteht. Ein Kind, das normalerweise keine Sekunde stillsitzen kann, sitzt plötzlich wie gebannt da. Die Kinder tauchen in die Geschichte ein und lassen sich von ihr an einen anderen Ort entführen. Ohne die Bücherei hören die Kinder vielleicht nochGeschichten in der Vorschule oder zu Hause oder im Buchladen. Aber dieses Versammeln um den alten Schaukelstuhl in der Bücherei hat etwas ganz Besonderes, das man nicht leugnen kann.“
Eddie zeigte ihr wieder Daumen hoch.
„Vor ein paar Tagen brachte eine Frau ihre Enkeltochter Katy zur Märchenstunde“, erinnerte sich Maureen und ließ ihr Notizblatt sinken. „Sie bat um einen Klassiker, der seit dem Jahr 1939 immer wieder nachgedruckt wird. Kein einziges Wort der Geschichte ist jemals verändert worden, kein Strich in den Zeichnungen korrigiert. Dennoch ist das Märchen jedes Mal ganz neu, sobald ein Kind das Buch öffnet. Später hat mir die Großmutter erzählt, dass sie sich noch aus ihrer eigenen Kindheit an die Geschichte erinnert. Auch sie ist immer zur Märchenstunde gekommen, als sie noch klein war. In dasselbe Gebäude, in dasselbe Kinderzimmer, und es war für sie eine Freude, diese Tradition mit ihrer Enkelin fortzuführen.“
„Das trifft den Nagel auf den Kopf“, sagte Eddie. „Jeder kann auf die Website gehen und sich ansehen, was die Bücherei alles kostenlos anbietet.
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