Weihnachtsgeschichten am Kamin 02
dann blieb es ruhig, und allmählich sah ich auch die Kerzen wieder aufblitzen. «Jetzt ist das Ofenrohr runtergekommen!» stöhnte meine Mutter und blickte stumm auf die völlig verschmutzten Betten, den Teppich und den rauchenden Ofen. Als ihr Blick dann unseren unter einer Rußschicht begrabenen teuren Weihnachtsbraten traf, war das einfach zuviel für sie. Sie, die in allen gefährlichen Situationen immer gefaßt geblieben war, anderen Mut gemacht hatte und sogar die traurige Tatsache, daß wir seit einem halben Jahr nichts von meinem Vater und meinen Brüdern gehört hatten, ohne Tränen ertragen hatte, sie verlor beim Anblick des verdreckten Gockels völlig die Nerven.
Ich war zunächst ganz hilflos und dachte nur immer: «Und das sollte doch eine werden!» Dann aber wurde ich aktiv: Ich nahm den Ruß-Gockel aus der Pfanne, steckte ihn in unseren Wassereimer, trocknete ihn mit dem Geschirrtuch ab und legte ihn in einen sauberen Topf. Meine Mutter war ganz gerührt, als ich ihr den Braten, der war, präsentierte. Ihre Tränen versiegten, sie lächelte schon wieder, und wir machten uns gemeinsam an die Aufräumungsarbeiten. Das Rohr wurde wieder in die Drahtschlingen an der Decke geschoben und der Ruß aus dem Fenster auf den weißen Schnee geschüttelt. Fast hätte der Telegrammbote, der zu uns wollte, eine Rußladung auf den Kopf bekommen...
«Bin entlassen — komme bald — Freude groß — VATER» lasen wir, und als wir uns selig ansahen, da merkten wir, daß unsere Freudentränen weiße Kanäle in die Rußschicht auf unserem Gesicht gezogen hatten. Wir lachten, weinten und tanzten um den Weihnachtsbaum, an dessen obersten Ast wir die frohe Botschaft von der Heimkehr meines Vaters befestigt hatten.
Nun war es doch noch eine «Friedensweihnacht» geworden.
Wim van Musscher
Die letzte Schulstunde
Diese wahre Begebenheit liegt nun schon bald 40 Jahre zurück, und es wird deshalb auch nicht mehr viele Menschen geben, die sich noch an die Geschehnisse erinnern, und so kann ich mit Recht meine Erzählung mit den Worten beginnen:
ES WAR EINMAL, es war zu der Zeit, da man als entlassener Kriegsgefangener noch einer Zuzugsgenehmigung bedurfte, wenn man zu seiner eigenen Familie zurückkehren wollte. Die Ethik hing noch reichlich schief im Rahmen, und die Kunst ließ sich am liebsten in Naturalien bezahlen. Dafür blühte aber der schwarze Markt in allen Farben, und wer über das berühmte Vitamin B (Beziehungen) verfügte, konnte von der Heftzwecke bis zur Lokomotive alles haben.
In dieser wahrhaft turbulenten Zeit lief mir «Zimmi» über den Weg. Man würde maßlos übertreiben, wenn man behauptete, er wäre auf unserer Penne ein Musterschüler gewesen. Wenn irgendwo etwas schräg war, dann hatte Zimmi auf keinen Fall abseits gespielt. Er hatte aber das beneidenswerte Talent, immer auf die Füße zu fallen, und nach der Begrüßung zu urteilen, hatte er auch diesmal seine Fähigkeiten erfolgreich eingesetzt. Sein fröhliches «Hello, old Boy! Bist du es oder bist du es nicht?» gab auch sofort die Quelle seiner Zufriedenheit preis. Er war, wie sich im Laufe des Gesprächs herausstellte, «beim Ami» gelandet und kam so gut über den Winter. Nachdem wir uns ausgiebig versichert hatten, wie sehr es uns freue, die «Siege» alle überlebt zu haben, überraschte er mich mit der Mitteilung, daß noch sechs weitere Klassenkameraden davongekommen waren. Dank seiner Vitalität hatte auch schon ein Klassentreffen stattgefunden, und es war beschlossen worden, «Heinrich I.» einen Besuch abzustatten.
«Heinrich I.» war unser alter Klassenlehrer, wegen seiner Strenge der Schrecken der gesamten Penne. Von unserem 4. Schuljahr an bis zur Entlassung hatte er unseren Lebensweg begleitet und sich redliche Mühe gegeben, anständige Burschen aus uns zu machen. Nachdem wir ihn als «Häuptling» respektiert hatten, war er uns immer mehr ein Vater geworden, der seine Jungs auch gegen andere Lehrer zu verteidigen wußte. So war es auch kein Wunder, daß unsere Klasse fast einen Glorienschein bekam. Und nur so ist es zu verstehen, daß ausgerechnet Zimmi der Initiator zu dem Überfall auf unseren alten Häuptling wurde, der nun als Ausgedienter, der Zeit gehorchend, noch als Leiter einer größeren Dorfschule tätig war.
Es gab sogar schon eine Busverbindung nach dort, und so fanden wir uns zur vereinbarten Zeit an der Bushaltestelle ein. Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit, und aus
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