Weihnachtsgeschichten am Kamin 02
Versprechen, einmal wiederzukommen. Wir haben dieses Versprechen nicht mehr einlösen können. Kurze Zeit nach unserem Besuch hat er die Schule des Lebens für immer verlassen. Guter alter Häuptling, wir danken dir! Auch unser Band ist seit dieser Zeit zerrissen. Inzwischen sind wieder über 40 Jahre ins Land gezogen, und vielleicht sind wir jetzt nur noch zwei oder drei?
Und wieder ist Adventszeit, und die Erinnerung an diese - unsere letzte — Schulstunde ist so gegenwärtig, als sei es gestern gewesen. Und wo ihr auch seid, ich wünsche euch von ganzem Herzen Glück und Frieden in Erinnerung an unsere Jugend, die uns viele schöne, aber auch schwere Stunden beschert hat.
Gertrud Grothe
Die Fe rn trauung
Noch bevor der Sommer begann, begann mein Glück.
Der Sommer war besonders schön in diesem Jahr, aber viel zu kurz. Mein Glück war auch besonders schön und, leider, viel zu kurz. Hans hatte Urlaub, Fronturlaub.
«Bist du glücklich?» fragte er mich und nahm mich zärtlich in seinen Arm. Ich nickte. «Nur», ergänzte ich zögernd und wurde dabei rot, «ich wär so gerne deine Frau.»
Einen Augenblick schwiegen wir beide.
«Dieser verdammte Krieg», sagte Hans dann, «wenn er doch nur schon vorbei wäre, dieser verdammte Krieg. Wer weiß, was da noch alles auf uns zukommt. Besser ist es, wir heiraten, wenn der Krieg zu Ende ist, lange kann es ja nicht mehr dauern, dann heiraten wir.» Er sah in meine Augen und war ganz ernst. «Vor dem Herrgott bist du ja schon meine Frau, und vor den Menschen wirst du es bestimmt, sobald ich zurückkomme.»
Ich kuschelte mich in seine Arme und war glücklich.
Die Tage vergingen. Wunderschöne, viel zu kurze Tage.
Nun war ich wieder allein.
Besonders gut fühlte ich mich nicht, darum ging ich auch eines Tages zu unserem guten, alten Doktor. «Ja, Mädchen», sagte er, «wir werden Mama.» Kaum konnte ich es glauben, doch dann freute ich mich.
Briefe an die Front gingen hin und kamen her. «Dann machen wir eine Kriegstrauung», schrieb Hans, «damit das Kind meinen Namen hat, und ich freue mich auf unser Kind», so schrieb er in jedem Brief.
Und dann saß ich da, mit zwei Trauzeugen in einem kahlen Raum, meine Hochzeit hatte ich mir ganz anders vorgestellt.
Der Standesbeamte schob mir einen Bogen hin, ich unterschrieb mit meinem neuen Namen und war nun Hans’ Frau.
Die Zeit verging.
Ich strickte, ich häkelte in Grün und Weiß, Mützen, Höschen, Jäckchen, und ich schrieb Briefe an die Front, täglich.
Und sooft Hans Zeit hatte, schrieb er zurück, und immer schrieb er, wie sehr er sich auf das Kind freute.
Dann kamen eines Tages zwei Männer, der Herr Bürgermeister und der Herr Pastor, auf unseren Hof.
Sie brauchten nichts zu sagen, kein Wort, ich wußte auch so, daß Hans gefallen war, tot.
Und in mir war nun auch alles tot.
Ich weinte nicht, ich sagte nichts, ich fühlte nichts.
Alle meine Lieben waren gut zu mir, liebevoll, mir war alles egal, wie eine Marionette bewegte ich mich, steckte wahllos Essen in mich hinein und wurde immer runder.
Das Kind in mir bewegte sich, aber fühlen tat ich dabei nichts. Täglich stand ich am Fenster und wartete auf den Briefträger, aber er ging immer vorbei.
«Heute ist nun Heiligabend», sagte Mutter, «willst du nicht die kleine Tanne mit Kerzen und Kugeln ausputzen?» Ich schüttelte den Kopf, zog meinen Mantel an, der obere Knopf ging nur noch zu, so rund war ich inzwischen geworden, band mein Kopftuch um und ging nach draußen. Hoher Schnee lag, ein kalter Wind ging.
Bis an den Waldrand wollte ich gehen.
Eine junge Frau kam mir entgegen, ganz in Schwarz. Sie wohnte noch nicht lange hier bei uns im Ort, sie waren evakuiert, drei Kinder. Die beiden Kleinen hielten sie an der Hand, ein etwas größerer Junge trug eine kleine Tanne.
Die Frau nickte mir freundlich zu. «Ihr Mann ist ja auch gefallen», ging es mir durch den Sinn, «drei Kinder ohne Vater, und trotzdem holen sie eine Tanne, und trotzdem wird es Weihnachten.»
Ein stechender Schmerz ging durch meinen Körper, erschrocken legte ich beide Hände auf meinen Leib, und nach einer Weile wieder dieser Schmerz. Ich drehte um und ging den Weg zurück nach Haus.
«Mädchen», empfing mich Mutter, «wie siehst du denn aus?»
In der guten Stube war schon der eiserne Ofen angeheizt, der geschmückte Weihnachtsbaum stand in der Ecke.
Mein Bett wurde aufgestellt, denn oben in der Schlafkammer war es zu kalt. Unser guter, alter Doktor kam mit seiner
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