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Weihnachtsgeschichten am Kamin 02

Weihnachtsgeschichten am Kamin 02

Titel: Weihnachtsgeschichten am Kamin 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Richter , Stubel,Wolf-Dieter
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breiten Barackengang, stand der russische Wachoffizier, umgeben von einem Haufen Soldaten. In barschem Kommandoton gab der Offizier zu verstehen, daß so etwas — er zeigte dabei auf unsern Baum — nicht sein dürfe in der Sowjetunion. Er befahl seinen Männern, den Weihnachtsbaum zu entfernen. Die Rotarmisten griffen zu. Eine Ölfunzel fiel blechern auf den Boden. Ein Soldat faßte nach der einzigen Kerze. Der Baum wurde hinausgetragen. Der Rotarmist mit dem Licht in der Hand folgte seinem Offizier. Die Tür des Barackenraums fiel ins Schloß. Es war fast dunkel in dem Raum. Leises Gemurmel auf den Pritschen. Hier und da ein derber Landserfluch. Die Weihnacht schien vorüber. — In eben diesem Augenblick mußte es einem Wunder gleichen, als die Barackentür erneut geöffnet wurde. Wir trauten unseren Augen nicht. Der Rotarmist mit der Kerze stand mitten unter uns. Er hatte seine Mütze abgenommen. Das Licht in seiner großen Hand brannte. Der klägliche Glanz des Kerzenscheins erhellte sein breites Gesicht und gab ihm ein friedvolles Aussehen. Der Soldat lächelte und ging zu dem Tisch, auf dem vorher der Weihnachtsbaum gestanden hatte. Behutsamer als man es seinen groben Händen Zutrauen konnte, stellte er dort das Licht ab und verschwand, fast nicht mehr bemerkt. Das war das Wunder jener Nacht am 24. Dezember 1944.

    Marlies Busse

Der Kaiserstraßen-Baum

    So um die 20 herum sieht man das alles etwas lockerer.
    Bevorstehende Feiertage? Volle Einkaufstaschen, Weihnachtsbäume schleppen, trautes Heim, Völlerei... doch nicht wir! Etwas für Familien, und denen glaubten wir gerade entronnen zu sein, sehr mit uns selbst beschäftigt, die erste gemeinsame Wohnung — und das ohne Trauschein! In den sechziger Jahren noch etwas ungewöhnlich.
    Unser Hauswirt, ein bescheidener kleiner Mann (auch das gab es damals), der verlegen die Mütze in der Hand drehte und meinen öffnenden Partner fragte: «Kann ich Ihre Dame sprechen?», weil er nicht wußte, wie er mich anreden sollte. Seine runde Frau, die mir zeigte, wie man eine Treppe richtig wischt — sie auf den obersten Stufen, ich am Treppenansatz, dem Anblick ihrer lachsfarbenen, bis zu den Kniekehlen reichenden Baumwollunterhosen unter einer kurzen gemusterten Kittelschürze ausgeliefert.
    Weihnachten war etwas für die da mit ihren gestickten Kissen mit dem Klaps in der Mitte.
    Die Wohnung in Ordnung, schon deshalb, weil wir dort zusammensein konnten, die Stadt Frankfurt interessant und unsere gemeinsame Arbeit am Flughafen nicht minder. Viele Menschen, Reisen, Abwechslung, eine kurzweilige Zeit.
    Und heute sollte schon Heiligabend sein? Den hatten wir so bald nicht erwartet, vergessen über unserem Spätdienst, wurden dann von einem Weihnachtsmann überrascht, der am Flughafen umherlief und bunte Tüten aus einem großen Sack verteilte. Da standen wir nun mit unseren glänzenden Päckchen, selbst der Flugverkehr erlag dem Zauber eines Heiligen Abends, es gab nichts mehr zu tun. Zeit, nach Hause zu gehen.
    Zu fahren, mit dem Bus durchs abendliche Frankfurt. Und überall Weihnachtsbäume, Weihnachtsbäume stachen ins Auge, schlugen ins Gesicht, bis wir wußten, daß auch wir gerne einen Baum zu Hause gehabt hätten, doch es war spät, aussichtslos, jetzt noch irgendwo einen zu besorgen, zu spät, zu spät...
    So still, schneelos und windig die Stadt. Umsteigen am Hauptbahnhof. Selbst dort niemand mehr unterwegs. Mit der Straßenbahn nach Oberrad. Durch die Kaiserstraße. Keine Mädchen in den Hauseingängen, die Kinoreklamen überglänzt von Leuchtsternen, verschämtes rotes Licht hinter Weihnachtsgirlanden.
    Fröstelnd nach dem überheizten Bus, hingen wir unseren Gedanken nach, standen wartend an der Haltestelle.
    Was war das? Wir fuhren aus den Mantelkragen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite bog eine Gruppe grölend, saufend um die Ecke, die Schnapsflaschen wie Keulen schwingend, einer von ihnen zerrte triumphierend an einem irgendwo geklauten Weihnachtsbaum, den sie gemeinsam rollten, stießen und schoben. Fluchend und schreiend gaben sie ihm schließlich noch einige Fußtritte und ließen ihn auf unserer Höhe liegen, verschwanden so plötzlich, wie sie gekommen waren, und die Kaiserstraße war wieder wie ausgestorben.
    Wir liefen über die Straße, betrachteten die frisch geschlagene Fichte, einen schönen, über zwei Meter langen Baum, der nur wenige Blessuren von der rüden Behandlung aufwies. Unser Baum! Doch wie ihn fortschaffen? Er

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