Weihnachtsgeschichten am Kamin 02
als ob sie ihn nicht aus dem Winterschlaf wecken wollten.
Ich stapfte eine Düne hoch, schaute mal über das Meer, mal über die in Dämmerung versinkende Dünenlandschaft hinter mir. In der Ferne leuchteten die Lichter von Westerland, und der gleißende Lichtstrahl des Kampener Leuchtturms zuckte über das dunkel werdende Land.
«Es begab sich aber zu der Zeit...» Aus sehr altem Erinnern kamen plötzlich diese vertrauten Worte auf meine Lippen, und ich sagte sie laut vor mich hin, wie eine Wehr gegen die Kälte, die mir langsam in Herz und Glieder kroch. Eilig strebte ich der Westerländer Promenade zu, die menschenleer dalag, nur von ein paar Lampen matt erhellt. Vor der verwaisten Musik-Muschel hockte ich mich einen Augenblick lang auf eine Bank, spürte betroffen, daß ich Angst davor hatte, in mein Appartement zurückzukehren. Zu den Büchern, den Gedanken und dem Alleinsein mit mir. Aber hatte ich es denn nicht so gewollt?
Trotzig fast trottete ich die Straße hinunter und blieb plötzlich überrascht stehen. Wahrhaftig, die Heiligen Drei Könige von Sylt kamen da auf mich zu, der eine im blau-weißen Fischerhemd, der zweite im Rollkragenpullover und der dritte in roter Öljacke, und alle hatten Pudelmützen mit Goldlitze darauf auf dem Blondhaar. Der größte der drei trug einen Stab mit einem goldglänzenden Stern an der Spitze, die beiden anderen hatten kleine Laternen in den Händen. Und so zogen sie von Haus zu Haus, sangen vor den Türen ein Weihnachtslied und nahmen mit einem fröhlichen «Gudjul wansker» die ihnen zugedachten süßen Gaben entgegen.
Wundersames aber geschah mit mir. Still folgte ich dem goldenen Stern und den Heiligen Drei Königen von Sylt, wartete geduldig, bis sie ihr Lied gesungen hatten, und folgte ihnen dann weiter nach. Und dabei war mir so wohl, so weihnachtlich zumute wie nie zuvor. «Es begab sich aber zu der Zeit...» Der Stern von Bethlehem war aufgegangen und leuchtete.
Ja, und schließlich kam ich mit meinen kleinen Heiligen Drei Königen zu einer Herberge, einem Gasthaus, wo Menschen beim Kerzenschein zusammensaßen und mich freundlich in ihrer Mitte aufnahmen. Mein Weihnachten hatte begonnen.
Hellmuth Paul
Der Waldgeist
Wir schrieben das Jahr 1935. Wir waren bitterarm und wohnten in Berlin-Mahlsdorf. Da mein Vater bereits zwei Jahre arbeitslos war, hatten wir kurz zuvor unsere schöne Wohnung in Karlshorst aufgeben und in den billigeren Vorort umziehen müssen. Für uns Großstadtkinder war das Leben nahe dem Lande natürlich abenteuerlich, und für ganz kleine Arbeiten bei den Bauern durften wir nach der Ernte stoppeln gehen und nach übersehenen Kartoffeln buddeln. Bei solchen Ausflügen kamen wir auch oft in die Nähe eines kleinen Holzes mit einer Schonung voll schönster Weihnachtsbäume.
Als unsere Mutti uns kurz vor Weihnachten erklärte, wir würden diesmal keinen Baum haben, weil wir die wenigen Mark der Haushaltskasse besser für Essen und Trinken ausgeben sollten, reifte in uns ein verwegener Plan. Meine beiden Schwestern und ich — wir waren damals zwischen fünf und zehn Jahre alt — warteten einen Tag vor dem Fest auf die Dämmerung und machten uns selbdritt auf den Weg zu dem kleinen Wäldchen.
Es dauerte auch nicht lange, da hatten wir das Bäumchen auf Sicht, das wir schon in unserer Stube stehen sahen. Kaum hatten wir jedoch mit unserer stumpfen Säge Hand an das Stämmchen gelegt, brach wie ein furchtbarer Waldgeist eine drohende Gestalt aus dem bereits dunkel werdenden Unterholz und jagte uns in panische Flucht. Wir rannten, was das Zeug hergab, unsere fünfjährige Schwester in der Mitte, und kamen erst ganz weit draußen mit klopfenden Herzen und zitternden Knien zum Stehen. Und wir waren sehr traurig, weil wir nun keinen Weihnachtsbaum hatten.
Heiligfrüh. Meine Mutter, wie immer die erste auf den Beinen, kam aufgeregt in unser Dreierzimmer und scheuchte uns aus den Federn. Noch im Nachthemd, führte sie uns an die Tür, vor der ein wunderschönes Weihnachtsbäumchen lehnte. Es sah genauso aus wie jenes, das wir am Abend vorher stibitzen wollten, welche Vermutung auch darin Nahrung fand, daß unsere stumpfe Säge darangebunden war. Wir drei sahen wohl etwas betreten drein, doch dann siegte trotz des immer noch strengen Blicks unserer Mutter das Glück über unseren Weihnachtsbaum, der unsere Stube mit seinem würzigen Duft erfüllte und in seiner geschmückten Pracht bis weit in den Januar hinein unser ärmliches Heim zum Paradies
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