Weihnachtsgeschichten am Kamin 02
machte. Es blieb natürlich das Rätsel um das Auftauchen das Baumes vor unserer Tür.
Viele Jahre später erst löste es sich. Ich war längst erwachsen und hielt mit einigen Freunden in der «Verdi-Quelle» gleich in der Nachbarschaft hin und wieder ein kleines Dämmerschoppen-Plauderstündchen. An einem solchen Abend, es war zwischen Weihnachten und Neujahr, kamen wir auf sonderbare Geschichten zu sprechen, die sich gerade in dieser Zeit abspielten. Ich erinnerte mich an das fast vergessene Erlebnis mit unserem Weihnachtsbaum und gab es zum besten. «Ein wirklich guter Geist», kommentierte einer meiner Freunde das Geschehen. Da erhob sich ein alter Mann, der, von uns unbeachtet, in einer Ecke sein Bier nippte, und schlurfte zu uns an den Tresen. «Der gute Geist», sagte er mit müder Stimme, «der war ich. Anno ‘35 war’s doch, nicht?» Dann erzählte er, daß er damals Knecht bei dem Bauern war, dem das kleine Wäldchen gehörte, das jetzt zu einem stattlichen Wald herangewachsen war. Dieser Bauer hatte ihn in den Abendstunden der letzten Tage vor dem Fest in den Wald beordert, um seine kleinen Fichten vor dem Zugriff der Armen zu schützen. Zuerst hatte er uns auftraggemäß davongejagt, doch dann taten wir ihm leid, wie wir so mit unserem kleinen Schwesterchen in der Mitte die Flucht über Stock und Stein ergriffen. Es fiel ihm nicht schwer, unsere Adresse herauszubekommen, weil meines Vaters Name auf dem hölzernen Griff der Säge eingeritzt war, die wir bei unserer panischen Flucht zurückgelassen hatten.
«Die war unheimlich stumpf, eure Säge. Und ich hab mich ungeheuer schwergetan, euer Bäumchen abzukriegen, das sowieso zu dicht bei seinem Nachbarn stand.»
Ich lud den alten Mann zu unserer Silvesterfeier ein, an der auch meine Eltern und meine beiden Schwestern teilnahmen, und wir hatten viel Spaß mit unserer Flucht vor dem «Waldgeist». Wir waren noch viele Male mit ihm zusammen, denn jetzt ging es uns einigermaßen gut, und er wirkte abgerissen und ärmlich. Und als unser Opa starb, wuchs er in dessen Funktion hinein und blieb bis zu seinem Tod ein Teil unserer Familie.
Helmut Reinking
Weihnachten in Rußland
Tiefblauer, dunkler Himmel, unzählige Sterne am Firmament, der Frost klirrte. Vermummte Gestalten, ein karges Häuflein, eine Infanteriekompanie der arg zerrupften deutschen Armee, bezieht vorher angelegte, neue Stellungen.
Wieder einmal hatten wir den Rückzug angetreten. Hier sollten wir den mächtig vorrückenden Feind aufhalten.
Zum wievielten Mal? Wir wußten es nicht.
Am nächsten Morgen konnten wir die herrliche Winterlandschaft bewundern, die Russen waren noch weit weg, es herrschte eine himmlische Ruhe, nur in weiter Ferne hörte man ab und zu einen Granateinschlag oder eine MG-Salve. Leise rieselte der Schnee, und dünne Rauchfahnen zeigten, daß hier noch Lebende hausten.
In vier Tagen war Weihnachten, jeder Unterstand bekam eine kleine, frisch geschlagene Tanne. Fleißige Hände bastelten aus Konservendosenblech Weihnachtsbaumschmuck, und aus Zigarettensilberpapier wurde Lametta geschnitten. Die Bunker wurden mit Tannengrün weihnachtlich hergerichtet. Überall war ein frohes Schaffen, und die Kanonenöfen wurden auf glühende Wärme gebracht. Bald stand der Weihnachtsbaum, so schmuck und fein, sogar Kerzen wurden aufgetrieben. Es weihnachtete sehr! Die Bunkertür öffnete sich, ein kalter Luftzug und ein paar vorwitzige Schneeflocken wirbelten herein. Plötzlich stand unser selten gesehener Spieß im Raum, bepackt mit Päckchen und Briefen! Nanu, der Spieß persönlich? Da mußte etwas Besonderes sein.
«Morgen, Männer», sprach er mit ungewohnt milder Stimme, «wir haben Nachricht vom Obergefreiten Nacke.»
Heinz Nacke, der Liebling und Unterhalter der Kompanie, war beim letzten Angriff schwer verwundet worden. Seitdem kaum Lachen, keine Mundharmonikamusik, es war traurig.
«Eine Schwester aus einem Feldlazarett schreibt, daß er wohl am Leben bleibt, aber mit den Augen sei nichts zu machen. Nacke läßt euch sagen, es gehe ihm gut, ihr sollt keine Sorge haben. Jetzt brauche er wenigstens nicht soviel Kokolores zu machen, um uns bei Laune zu halten. Dann hat er noch eine Bitte: ab und zu soll doch mal einer schreiben, er möchte stets Verbindung zu seinen Kameraden haben.»
«Ja, das machen wir», brüllten alle fast einstimmig.
Und nun machte der Feldwebel ein kaum gesehenes, vergnügtes Gesicht. «Haltet euch alle fest. Jetzt kommt das
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