Weihnachtsgeschichten am Kamin 02
nicht, in den Geschäften nicht, obwohl sicher einiges zu wäre.
Es wird Mittag, die Stadt wird leerer, die Atmosphäre langsam unheimlich. In einem Schnellrestaurant gehe ich Mittag essen; ich habe soviel Geld, daß ich mir das Essen heute nicht erbettle. Bis zum Zug habe ich immer noch Zeit; im Südpark mit dem Tropengewächshaus und dem Ziegengehege gehe ich spazieren. Schön wäre es, wenn hier und jetzt Schnee liegen würde, die weihnachtliche Idylle wäre vollkommen.
Kurz nach drei Uhr bin ich am Bahnhof, den Rucksack hole ich mir aus dem Schließfach; oh, wie wohl ist mir zumut, wenn ich mein komplettes Gepäck bei mir habe und die Reise losgeht. Auf dem Bahnsteig ist es ruhig, viele Reisende sind hier nicht mehr. Der Zug kommt, ich steige ein, der Zug fährt an.
Mit zunehmender Geschwindigkeit verläßt er die Stadt. Die Fahrt verläuft ruhig: Aus dem Fenster sehe ich den Rhein, spüre förmlich die Ruhe in den Dörfern, in den Weinbergen, auf den Straßen und Wegen, auf dem Strom; durch die Waggonwand spüre ich den Heiligen Abend. Das Fahrgeräusch nehme ich auf wie ein Rauschgift: was fiir ein Weihnachtsnachmittag! Knapp eine Stunde fährt der Zug ohne Zwischenhalt. Diese Reise ist mein Weihnachtsgeschenk an mich. Gegen halb fünf am Abend ist die Dämmerung weit fortgeschritten; ich steige aus dem Zug. Die 20 Kilometer zur nächsten gescheiten Herberge fahre ich erst morgen mittag. Unschlüssig stehe ich in der Bahnhofshalle. Mein schweres Gepäck fällt auf. Der Rucksack geht also wieder ins Schließfach, nur die Rolle mit dem Schlafsack und einige Lebensmittel nehme ich mit auf den Weg. Zum Rhein laufe ich durch die Innenstadt; fast verloren gehen einige späte Spaziergänger an den Schaufenstern der Geschäfte vorbei. Und ich auch. Doch ich gehöre nicht dazu, Heiligabend ist da, und ich gehöre nicht dazu. Abwesend verdränge ich den Gedanken, lasse nur diese eigenartige Ruhe auf mich einwirken, dann gehe ich zum Fluß.
Minutenlang sehe ich dem Spiel der Wellen und der Lichter auf der anderen Uferseite zu. Mittlerweile ist es vollkommen dunkel, ich setze mich in Bewegung. Eine Dreiviertelstunde werde ich gehen bis zu meiner Unterkunft für diese Nacht. Es wird die zehnte Nacht im Freien, bei 8 Grad unter Null. Nun schneidet auch noch der kalte Wind vom Fluß an meinen Körper. Hier und jetzt will ich aber kein Ende machen mit meinem Ansinnen, und nun doch noch in die städtische Herberge gehen, in die ich auch sonst prinzipiell nicht gehe. Diese Nacht gehört mir, und nur mir allein.
Unterwegs durch die Dunkelheit, höre ich plötzlich ein einsames Schiff. Kurz darauf erkenne ich die Lichter des Frachters, seine dunkle Gestalt schiebt sich über das Wasser. Dann, als wär’s von mir gewünscht, ertönt melodisch das Schiffshorn. Keine noch so herrliche Orgel könnte mich in diesem Augenblick mehr begeistern... Ich weiß nur nicht, wen der Schiffsführer grüßt. Angehörige? Bekannte? Mich? Ich glaub, er hat mich nicht gesehen.
Meine Unterkunft habe ich erreicht. Weil sie windgeschützt ist, kann ich eine gefundene Kerze anzünden: Ich habe etwas Licht. Den Schlafsack rolle ich aus, setze mich darauf. Als dient mir ein Stück Kuchen, mehr nicht. In den Schlafsack gekrochen, lösche ich die Kerze, und dann
GUTE NACHT, HEILIGE NACHT
(Der Autor dieses Beitrags hat gebeten, seinen Namen nicht zu veröffentlichen.)
Erika Sophia Gudewer
Die Heiligen Drei Könige von Sylt
Am Heilignachmittag saß ich im Zug nach Westerland und ließ Weihnachten hinter mir zurück. Konsumsteigernde Weihnachtsmänner in den Straßen, «O du fröhliche» aus allen Lautsprechern, Zimtsterne auf jedem Backblech, Ohnmachten nahe Verkäuferinnen in den Kaufhäusern und heb gemeinte Einladungen zu Lichterglanz und Weihnachtsgans. Alle Jahre wieder. Aber diesmal sollte es für mich ein Heiligabend mit mir allein sein, mit Gedanken, Büchern, klarem Winterhimmel über der Insel und garantiert ohne Tannennadeln auf dem Teppich.
Im Zug saßen erwartungsfrohe Weihnachtsheimkehrer, und so kam ich zwischen Husum und Bredstedt in den Genuß zuckriger Lebkuchenherzen, die meine Abteilnachbarin freigebig austeilte. Aber das war’s dann auch mit Weihnachtlichem.
In meinem Miet-Appartement grüßte kein Tannenzweig, kein Rauschgoldengelchen, und mir war es recht so. Mich lockten Strand und Meer. Zartgrau war der Himmel mit perlmuttfarbenen Streifen im Westen, und die Wellen liefen so sanft auf den Strand,
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