Weihnachtsgeschichten am Kamin 02
größte Weihnachtsgeschenk.» — Eine kurze Pause erhöhte die Spannung. — «Wir werden in Kürze nach Frankreich verlegt. Das Vorauskommando wird direkt nach Weihnachten zusammengestellt. Das ist die Wahrheit, keine Latrinenparole.» Sekundenlange Stille, dann ein Gejubel, eine Freude, alles lachte und einige weinten sogar. Sollte es wahr sein? Nach endlos langen Jahren Rußland in Schnee, Eis, Hitze, Schlamm und unendlichen Weiten, im Nacken einen gnadenlosen Gegner. Wir konnten es nicht fassen, trotzdem lag Glückseligkeit auf allen Gesichtern. Nun machten uns die lustigen Schneeflocken am kleinen Bunkerfenster große Freude, der ständige Ofenqualm im Raum wurde zum Duft.
Nur einer, Gefreiter Harms, stand ruhig und stumm im Raum.
«Mensch, Harms, freuen Sie sich nicht?» fragte der Spieß mit schmunzelnder Miene. «Dabei habe ich doch noch ein Weihnachtsgeschenk für Sie.»
Harms sah über den Rand seiner Nickelbrille und sagte zaghaft: «Wo alles so ruhig und friedvoll geworden ist, möchte man am liebsten hierbleiben», und schaute dabei zum Fenster heraus.
Alles lachte, einer meinte, er solle doch seine Hütte hier bauen, aber mit Warmwasserheizung.
«Wollen Sie denn trotzdem morgen in Heimaturlaub fahren oder wollen Sie mit dem Vorauskommando nach Frankreich?» fragte der Feldwebel den Gefreiten Harms. Harms schaute auf und sagte ganz ruhig:
«Dann möchte ich wohl lieber zu meiner Frau und den Kindern», und zeigte ein feines Lächeln auf seinen Lippen.
Nun ging der Spieß zum nächsten Unterstand, und er kam uns vor wie ein Weihnachtsengel mit Flügeln und Lamettahaar. Leise erklang ein Weihnachtslied, «Stille Nacht, heilige Nacht». Die dumpfen Einschläge der Granaten und peitschenden Gewehrschüsse kamen näher, aber wir hörten sie nicht, wir waren im siebten Himmel.
Der Wachdienst im Graben ging weiter, es war an der Zeit, den Glückspilz Harms abzulösen. Es war seine letzte Wache, er konnte seine Sachen packen und nach hinten gehen, sein Urlaub sollte beginnen. Wo war er nur? Er war nicht aufzufinden. Vielleicht war er eingeschlafen und träumte von seinen Lieben? Wir riefen: «Harms!», «Harms?» Er war nicht zu sehen, obwohl das sonst nicht seine Art war, uns suchen zu lassen. Wir riefen in einen unbelegten Unterstand hinein, wir leuchteten mit einer Taschenlampe in den Bunker. Dort hinten — was war da? Der Bunker hatte noch keine Rückwand, es sollten noch Balken eingebaut werden. Dort war ein Erdrutsch zu sehen. Es schnürte uns die Kehlen zu, als wir die Kameraden zu Hilfe riefen. Viele bebende Hände scharrten das Erdreich fort. «Da!» lallte einer, seine Filzstiefel kamen zum Vorschein und bald hatten wir ihn frei. Friedlich lag er vor uns, mit ruhigem Gesichtsausdruck, er war tot. Wir konnten es nicht fassen, einige knieten nieder, einige schluchzten. Aber weinen konnten wir nicht. Der verdammte Krieg hatte uns so leer gemacht, alle Gefühle schienen versteinert.
Hinter den Stellungen erhob sich nun ein schneebedeckter Hügel, und wenn der Himmel sternenübersät war, der tiefdunkelblaue Hintergrund vom klirrenden Frost erhellt wurde, dann konnte man das Birkenkreuz mit dem Stahlhelm des Gefreiten Harms sehen. Es sah alles so friedlich und ruhig aus, der Weihnachtsbaum glänzte matt durch das Fenster. Es war seine letzte Hütte. Doch die Lieben daheim warteten vergeblich auf den Sohn, Mann und Vater. Stille Nacht, ruhige Nacht!
Wolfgang-Julius Hochhaus
Im Stall zu...?
In unserer Familie ist es Brauch, am Heiligabend die Weihnachtsgeschichte nach Lukas vorzulesen. Ausgerechnet auf diesen Bibelseiten befinden sich Brandmale, und nachdem ich immer wieder gefragt wurde, woher sie stammen, da ich doch die Bibel so sorgsam hüte, habe ich es schließlich erzählt, und ich habe mich hingesetzt und aufgeschrieben, was an jenem denkwürdigen Heiligen Abend geschah. Diese Geschichte liegt nun zusammengefaltet in der Bibel, und ich lese sie alljährlich zusammen mit der Weihnachtsgeschichte vor:
Niemals — weder früher noch später — habe ich einen Heiligen Abend so innig und beglückend empfunden, wie jenen im Dezember 1944. Wir wohnten in dem Dorf W., das in der nordöstlichen Ecke des Deutschen Reiches gelegen war, in unmittelbarer Nähe der litauischen Grenze. Dort bewirtschafteten wir seit Generationen einen Bauernhof.
Seit Jahren herrschte Krieg, und die Front befand sich in der Nähe. Unter uns Dorfbewohnern herrschten Angst und Niedergeschlagenheit. So konnte denn
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