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Weihnachtsgeschichten am Kamin 04

Weihnachtsgeschichten am Kamin 04

Titel: Weihnachtsgeschichten am Kamin 04 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Friedrichsen , Ursula Richter
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liefen — während er sang — unentwegt Tränen über die Wangen. Da geschah plötzlich etwas mit dem Baum. Er bewegte sich, geriet förmlich ins Wanken. Die Kerzen flackerten, und hinter den Zweigen schob sich Onkel Helmut hervor. Alle waren ganz stumm, dann weinte und schluchzte meine Großmutter so furchtbar, daß ich es gar nicht begreifen konnte, dachte ich doch, sie müßte vor Freude aufspringen und lachen. Weil nun alle weinten, habe ich auch mitgeweint, sah aber — trotz der Tränen — hinter dem Baum ein Fahrrad. Nein, rot war es nicht. Pechschwarz! Mit Gesundheitslenker! Aber, was war schon ein rotes gegen dieses. Auch ein Puppenwagen mit einer Puppe stand da noch, und auf dem Teller lag ein rosiges Marzipanschwein. Inzwischen waren meine Tante und mein Cousin gekommen. Alle redeten nun durcheinander, weinten, lachten und umarmten sich, und für mich und mein Gedicht schien sich keiner zu interessieren. Nur mein Cousin verdrehte die Augen, tippte sich an die Stirn — wegen meines Engelsgewandes — und zog ständig an meinen Haaren, was mich furchtbar wütend machte.
    Irgendwann fuhr Onkel Helmut dann mit meinem Fahrrad um den Tisch und warf die neue Puppe in die Luft, woraufhin sie «Mama» rief, was wir ihr bis dahin vergeblich abzulocken versucht hatten. — Im Zimmer war es inzwischen so warm und meine Müdigkeit so groß, daß ich, ohne Abendbrot, inmitten meiner Geschenke einschlief. An diesem 24. Dezember war wirklich alles anders als sonst.
    Am letzten Tag im Jahr, am Silvestermorgen, kam die Nachricht, daß Onkel Walter den Heldentod für Führer und Vaterland gestorben sei. Gefallen in Rußland, irgendwo am Wolchow.

    Berndt Warda

Auf Wache keine besonderen Vorkommnisse

    Immer wenn sich die Weihnachtszeit in meiner nun schon 28jährigen Dienstzeit in der niedersächsischen Schutzpolizei nähert und der Sonder-Dienstplan des Schichtdienstes zum Weihnachtsfest und zur Jahreswende aufgestellt wird, werde ich an eine Begebenheit erinnert, die sich am «Heiligen Abend» 1963 auf der Unterkunftswache der Bereitschaftspolizei Braunschweig zugetragen hatte. Damals als junger Unterführer des 2. Zuges der 5. Ausbildungshundertschaft fiel das Los, die Unterkunftswache vom 24.12. auf den 25. Dezember mit zu stellen, auch auf mich.
    Als sich dann der Zeitpunkt des Wachbeginns näherte und ich mit fünf Kameraden des 2. Zuges den Wachraum betrat, um die Kollegen nach einem vorgeschriebenen Dienstschema abzulösen, und wir uns mit dem Ablauf der Dienstnacht vertraut gemacht hatten, stieg in mir das Gefühl auf, jetzt werde ich die «Heilige Nacht» zum erstenmal nicht im vertrauten Elternhaus, sondern wachend in Uniform (damals noch im dunkelblauen Tuch) in einem nicht alltäglichen Dienst erleben.
    Ich bemühte mich, es mir nicht anmerken zu lassen, denn gegenüber meinen Kameraden war ich der Wachvorgesetzte, der jetzt bloß nicht unmännlich sentimentale Regungen zeigen durfte. Als der Schranken-, Tor- und Streifendienst längst eingeteilt war und wir bereits einige Stunden absolviert hatten, wurde uns die Stille im Kasernenbereich bewußt, denn außer den beiden Bereitschaftszügen beherbergten die Unterkünfte wegen der Weihnachtsregelung keine Kollegen mehr.
    Unsere Gesprächsthemen, zuerst noch mit Scherzen angereichert, verflachten. Auch die obligatorischen Weihnachtsteller und Tüten mit Knuspergebäck vom Kantinenwirt, der Polizeigewerkschaft und der damaligen Stadtoberbürgermeisterin, die vor unserer Wache mit einer Ratsdelegation erschienen war, standen nun unbeachtet und schon teilweise geplündert herum. Bis auf die Hofstreife, die irgendwo auf dem Gelände ihren Weg abschritt, lauschten wir der Weihnachtsmusik aus dem Radio. Ein Fernsehgerät war vor fünfundzwanzig Jahren in einer Polizeiwache undenkbar. Ich verfolgte den Tanz der Flocken des einsetzenden Schneeschauers, die platschend vorbeihuschten oder an den Fensterscheiben zerplatzten. Sie hinterließen an den Glasscheiben senkrechte Wasserspuren, die sich an den waagerechten Fenstersprossen stauten. Es war unwirklich, weil der sonst übliche alltägliche Kasernenbetrieb das Wachgeschehen mitgestaltete. Auch den strengen Wachkontrollen brauchten wir nicht gespannt entgegensehen. Der mit Glühketten behangene Tannenbaum, der fast in einer Richtung mit dem gehobenen Schlagbaum stand, bog wiegend seine Äste.
    An der Außenseite des Fensters war ein Spiegel befestigt, dessen Einstellwinkel es ermöglichte, vom Wachschreibtisch den

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