Weihnachtsgeschichten am Kamin 04
war jeder dieser letzten Vorweihnachtstage. Und wie lang. Die Zeit wollte und wollte nicht vergehen. Noch im Nachthemd lief ich morgens durch die Zimmer, fand hier ein Streifchen Lametta, dort ein Strähnchen Engelhaar. Oh, was spielte sich da in meiner Phantasie alles ab... Kaum auszuhalten war es, bis es dämmrig wurde, und der Himmel sich von der Glut der großen Himmelsbacköfen roter und roter färbte. «Guckt, Christkindchen backt», sagten die alten Leute zu uns, und wir Kinder standen mit großen Augen — staunend und still. Wir sahen sie ja vor uns, die pausbäckigen Engel, wie sie mit riesigen Blechen voll mit den köstlichen Weihnachtsplätzchen hin- und herrannten und die Bunten Teller der Kinder damit auffüllten. Und immer noch trennte uns eine Nacht und fast ein Tag von diesen Herrlichkeiten.
Für das Nachtgebet fand ich kaum Zeit, und auch die allabendliche Bitte, der liebe Gott möge Onkel Helmut und Onkel Walter—zwei Brüder meiner Mutter — sowie alle anderen Soldaten beschützen, rappelte ich nur so herunter, in der festen Überzeugung, es würde mir in Anbetracht einer so wichtigen Angelegenheit wie des Heiligen Abends bestimmt verziehen. Dabei nahm ich es sonst sehr ernst mit der Bitte, besonders für meinen Lieblingsonkel Helmut. Von beiden — Onkel Walter war irgendwo in Rußland — hatten wir seit langem nichts gehört, und es machte mich traurig, daß meine Großeltern und meine Eltern so bedrückt waren. Ich hoffte sehr, daß das Weihnachtsfest, zu dem meine Großeltern zu uns kamen, alle ein wenig fröhlich machen würde.
Am Vormittag des 24. Dezember war es trüb und grau. Meine Mutter war draußen an der Wäscheleine. Ich lief zu ihr und reichte ihr Klammern. Da hörte ich leise und mit merkwürdiger Stimme meinen Namen rufen. Ich sah mich um, konnte aber nichts entdecken. Da, wieder hörte ich meinen Namen. Es klang, als käme die Stimme aus einem Bettbezug. Mir wurde ein bißchen unheimlich, meine Mutter tat, als bemerkte sie nichts. Grad, als ich mich dem Bezug vorsichtig näherte, geriet dieser furchtbar in Bewegung, und ich sah ein Paar schwarze Schuhe und ein Stück graue Hosen darunter vorgucken. Dann wurde der Bezug zur Seite geschoben und — dahinter stand mein Onkel Helmut. Erst war ich erschrocken. Ich hatte ihn lange nicht gesehen und noch gar nicht in Uniform. Aber dann rannte ich los, und er nahm mich in die Arme, warf mich hoch und drehte sich mit mir im Kreise.
Nun war ich völlig überdreht und wußte nicht, was ich zuerst und zuletzt machen sollte. Das mußten doch alle wissen! Die Nachbarn, meine Freundin, meine Tante und mein Cousin, die ein paar Häuser weiter wohnten. Am liebsten wäre ich auch sofort zu meinen Großeltern gerannt, aber das erlaubte meine Mutter nicht. Wir wohnten am Stadtrand von Bielefeld, und der Weg führte fast nur durch Wald und vorbei an Feldern. Da meine Großeltern ohnehin bald kommen würden, sollte es für sie eine große Überraschung und das schönste Weihnachtsgeschenk werden. Hätte ich doch bloß ein Fahrrad gehabt. So ein rotes mit grauen Streifen wie meine Freundin Karola. Ob vielleicht heute abend...??
Irgendwie vergingen die Stunden, und es wurde dämmrig. Meine Großeltern kamen und endlich auch mein Vater.
Da in diesem Jahr niemand mit mir zur Christvesper ging, lief ich zu meiner Tante. Dort war auch Onkel Helmut. Sie freute sich natürlich, daß er zum Fest ein paar Tage Urlaub bekommen hatte, aber konnte ihren Kummer darüber nicht verbergen, daß sie von ihrem Mann Walter — meinem anderen Onkel — schon Wochen nichts gehört hatte. Mein Cousin und ich gingen nach draußen. Als wir ins Haus gerufen wurden, war mein Onkel verschwunden. Schnell ging ich nach Hause. Später würde auch meine Tante mit meinem Cousin zu uns kommen. Meine Großeltern saßen in der Küche, wo es schon so richtig nach Weihnachtsabend duftete. Ich zog mir ein langes weißes Nachthemd an, band mir eine Goldkordel um und löste meine Zöpfe. Meine Eltern taten sehr geheimnisvoll und geschäftig und von meinem Onkel war nichts zu sehen. Endlich klingelte das Glöckchen. Wir gingen ins Wohnzimmer, und ich dachte, daß wir wieder einmal den schönsten Baum der Welt hatten. Meine Eltern und Großeltern hatten sich um den großen Tisch gesetzt, ich saß auf einer Fußbank vor dem Baum. Mein Vater stimmte das Lied «Am Weihnachtsbaume» an, und wir anderen fielen mit ein. Meine Großmutter mit dünner, zitternder Stimme, und meinem Großvater
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