Weihnachtsgeschichten am Kamin 04
Eingangsbereich der Haupteingangspforte zur Kaserne einzusehen.
Als dann plötzlich schnarrend die Klingel der Pforte anschlug, schaute ich in den besagten Fensterspiegel und konnte schemenhaft vor dem Tor mehrere Personen erkennen, die dichtgedrängt durch die Stäbe in Richtung Wacheingang schauten. Der Torschließer, der zu dieser Funktion laut Wachbuch eingeteilt war, zog etwas mürrisch den Mantel an, setzte tief ins Gesicht die Mütze auf und ging murmelnd hinaus. Nach geraumer Zeit erschienen im Wachraum sechs Erwachsene und vier Kinder, die noch Schneereste an ihrer Kleidung hatten. Aus der Gruppe löste sich ein älterer Herr.
«Wir sind die Nachbarn von gegenüber... und dachten, als bei uns im Haus die Geschenke verteilt waren, an die Polizei auf Posten... und jetzt Kinder, singt das verabredete Lied!» Als unbekümmert durch Kindermund, manchmal etwas tonabweichend der erste Vers von «Stille Nacht, Heilige Nacht» erklang, sah ich keinen Kollegen mehr sitzen, weil wohl jeder die Kinder singen sehen wollte.
Eine Frau stellte eine große Kaffeekanne auf den Wachtisch, noch mit einer Kannenhaube bedeckt, wie es damals üblich war. «Und hier ist der Christstollen dazu», erklärte eine andere junge Frau. «Wir wünschen ein gesegnetes Weihnachtsfest... Jungens», hörten wir den älteren Herren als Wortführer sagen, «damit dieser Abend nicht so trist für euch ist.» Als sich unser anfängliches Befremden zunehmend lockerte und wir alle Sitzgelegenheiten gefunden hatten, bahnten sich Gespräche an, die ich heute nicht mehr genau wiedergeben kann. Wir sprachen über unsere Herkunft, die Ausbildung, unsere Wünsche und natürlich über die tolle Idee, uns auf der Wache zu besuchen.
Ich schaute oft verstohlen auf den älteren Herrn und suchte nach Ähnlichkeiten, die auf meinen Vater paßten.
Nun liegen fünfundzwanzig Jahre hinter mir, und der Kalender zeigt die «roten Felder» der Weihnachtstage und Neujahr erneut, und ich denke an die fremden Menschen, die sich damals einfach nur als Nachbarn bezeichneten.
Susanne Auffarth
Weihnachten — damals
Wenn man alt wird, dann war ja früher immer alles viel schöner; vielleicht weil man weiß, daß alles, was geschehen ist, nie wieder sein kann. Nie wieder. Außerdem, meine ich, lag Weihnachten immer Schnee, der von Frost und kalter Sonne knirschte.
Wir Kinder bauten Schneemänner, liefen Schlittschuh auf dem zugefrorenen Mühlenteich, rodelten um die Wette den Mühlenberg herunter und saßen endlich mit roten Backen, müde, aber glücklich und zufrieden in der warmen Küche auf der Holzkiste am Herd und sahen der Mutter zu, die herrlich duftende Plätzchen und dickleibige Stollen backte. Manchmal durften wir die Sterne, Tannenbäume und Weihnachtsmänner aus dem Teig stechen. Hin und wieder zerbrach einer der kostbaren Kringel, und wir durften ihn aufessen und hatten schon einen Vorgeschmack auf die Herrlichkeiten am Weihnachtsabend.
In den Vorweihnachtswochen wurde nicht so viel gefeiert wie heute, alle warteten nur auf das eine, große Fest. Die Erwachsenen hatten viel mehr Zeit.
Am Heiligen Abend blieb das Wohnzimmer verschlossen. Mein Bruder schlich leise vor die Tür, um durchs Schlüsselloch zu sehen, während ich furchtsam hinter ihm stand. Was würde geschehen, wenn die Tür aufging und das Christkind heraustrat?
Niemals werde ich die Andacht vergessen, mit der ich einen zerbrochenen Schaumkringel auf der Holzkiste in der Küche verzehrte. Meine Mutter brachte ihn mir aus dem Weihnachtszimmer und sagte, das Christkind habe ihn fallenlassen.
Um uns Kinder abzulenken, bat meine Mutter meinen Bruder und mich, die Weihnachtsgans zu stoppeln. Da uns das aber viel zu langweilig war, kamen wir auf den glorreichen Gedanken, die Gans über das offene Feuer im Herdloch zu halten, dann mußten ja die Stoppeln abbrennen — dachten wir. Aber die fette Gans tropfte ihr Fett in die immer höher schlagenden Flammen, so daß wir schließlich voller Angst um Hilfe schrien. Die schwarzgebrannten Federkiele in der Gänsehaut gaben beredtes Zeugnis unserer Erfindungsgabe.
Kurz vor Weihnachten durfte ich mit meiner Mutter in die Stadt fahren zum Einkaufen. Jedesmal staunte ich über die vielen Straßenlampen und die hell erleuchteten Schaufenster, während es doch abends bei uns im Dorf stockduster war.
Im Kaufhaus Ramelow war immer ein Schaufenster mit einer Märchenszene dekoriert. Das war für mich das Höchste. Ich konnte lange, lange davorstehen:
Weitere Kostenlose Bücher