Weihnachtsglanz und Liebeszauber
Unglück rennen?«
Das war echt eine grundsätzliche Frage. Ich rubbelte mit dem nassen Waschlappen den Eyeliner weg. Der war wasserfest, deshalb verschmierte er nur, und nun sah ich tatsächlich so aus, wie ich mir einen Vampir vorstellte.
Rese kicherte. »Super! Nur weiter so, Ally!«
In heller Verzweiflung seifte ich mein Gesicht ein – mit dem Ergebnis, dass ich am Morgen des Nikolaustags mit feuerroten Augen in die Schule radelte. An der Kreuzung bog ein dick vermummelter Radler mit Karacho von rechts auf die Straße ein. Ich bremste so heftig, dass es mich fast über den Lenker schleuderte. »Kannst nicht aufpassen, du Idiot!?«
Der Radler stieg ab. »Ally!«
»Ach! Du bist es?« Ich funkelte ihn an. »Pech gehabt. Dachtest wohl, ich sei Rese, was?«
»Nein, dachte ich nicht. Ich habe was für dich, Ally.« Er reichte mir eine Schokokugel im Glitzerlook. »Weil heute Nikolaustag ist.«
»Was soll ich damit?«
Jan stutzte. »Ich will dir eine Freude machen.«
»So? Nette Idee«, sagte ich unwillig und radelte los.
Seite an Seite radelten wir zur Schule, stellten die Räder Seite an Seite ab, gingen Seite an Seite zum Eingang. Der war natürlich hell erleuchtet. »Tau’n Deiwel, Ally! Bist du krank?«
»Ich doch nicht! Wieso?«
»Du siehst so komisch aus.«
»Klar sieht sie komisch aus«, sagte Rese, die vor mir weggeradelt und deshalb auch schon vor uns in der Schule war. »Meine kleine Schwester hat sich heute Morgen an meinen Schminksachen vergriffen.« Rese grinste boshaft. »Das Ergebnis war abschreckend.«
»Du hast dich geschminkt?« Jan starrte mich an. »Aber wieso denn?«
Auf so eine blöde Frage kann man einfach nicht antworten.
»Lass die Kleine und komm schon, Jan.« Meine Schwester zog ihn weiter. Er sah noch einmal über die Schulter zurück und warf mir dabei einen so fassungslosen Blick zu, dass ich mich am liebsten ins Nirgendwo gebeamt hätte, so sehr schämte ich mich plötzlich. Wieso schämte ich mich eigentlich? Schön sein zu wollen ist doch nichts Verbotenes, oder?
Ich schlich ins Klassenzimmer und sank auf meinen Stuhl. Mein Gott, wie ich meine Schwester hasste!
Von den Stunden bis zur großen Pause bekam ich nichts mit; ich sah immer nur, wie Rese Jan unterhakte, ihn mitzog und auf ihn einredete: Was sie ihm da gesagt hatte, malte ich mir in den fürchterlichsten Farben aus.
Und was Jan nun über mich dachte, war ja wohl klar.
Das Schlimmste war, dass ich selbst schuld war. Noch nie hatte ich mich geschminkt. Welcher Teufel hatte mich geritten, es heute zu versuchen? Das musste ja schiefgehen. Jetzt hatte ich mich in Grund und Boden blamiert. Ich war der unglücklichste Mensch auf Erden.
Selbst schuld, hämmerte es in meinem Kopf. Selbst schuld, selbst schuld …
Ich legte Jans Christbaumkugel auf den Tisch und stupste sie ein bisschen an. Ich ärgerte mich so sehr über mich, dass ich am liebsten abgehauen wäre. So was geht nicht auf die Schnelle, das wusste ich, aber sobald es nur ging, würde ich ausziehen!
Jawohl!!!
Ab heute würde ich alle Anzeigen in den Pferde-Magazinen lesen, die mein Vater abonniert hatte. Mit sechzehn würde ich von der Schule abgehen, auf einem Reiterhof arbeiten und meine Karriere als Jockey in Angriff nehmen.
Jawohl!!!
Und überhaupt würde ich später mal an allen Turnieren teilnehmen, ich würde sämtliche Preise scheffeln und weltweit berühmt werden. Dann würde meine Schwester sehen, wo sie blieb – nämlich zu Hause. Von mir aus konnte sie Giselbert und Jan und alle Jungs haben – interessierte mich alles nicht mehr. Als weiblicher Super-Jockey war ich ein Star.
Jawoll!!!
O.K. Das bedeutete, dass ich nur noch schlappe drei Jahre durchhalten musste. Was waren schon drei miese Jahre gegen ein ganzes Leben als Berühmtheit …
Peanuts. Drei Jahre waren nur Peanuts.
Ein Jahr hatte 365 Tage. 365 Tage mal drei – na super – das waren mehr als tausend Tage. Ganz schön lange. Die würde ich rumkriegen. Die musste ich einfach rumkriegen!
Ich malte eine eins und drei Nullen auf meinen Block. Darunter schrieb ich die Zahl 999. Dann die 998. Und die 997 … und als ich bei der 867 angekommen war, stieß mich Jule, meine Nebensitzerin und beste Freundin, in die Rippen. Gleichzeitig wurde mir bewusst, wie still es im Klassenzimmer war. Echt totenstill. Was hatte ich verpasst?
Wir hatten gerade Biologie bei Ebi – Eberhard Rattelhuber, und eines war sicher: Von allen unseren Lehrern war Ebi Rattelhuber der schärfste Hund.
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