Weihnachtsglanz und Liebeszauber
mit Mütze und Schal gut eingemummelt aufs Rad. Obwohl nämlich der Schnee nicht weggetaut war, wollte ich auf der Suche nach der Girlande die nächste Portion Straßen abfahren. Irgendwo musste sie schließlich hängen!
Ich radelte also straßauf und straßab, während meine Schwester sich die Füße abfror und vergeblich auf ihren Jan wartete. Der hatte natürlich keine Ahnung von der Aktion. Das zweite Geschenk ruhte sicher in meiner Anoraktasche, aber war ich vielleicht so blöd und hängte es an Geländer, während meine Schwester Wache schob? Ich doch nicht!
Ich radelte durch den alten und daher sehr verwinkelten Teil unserer Kleinstadt. Ein paar Fußgänger waren noch unterwegs: die einen, weil sie ihren Hund Gassi führten, die anderen, weil sie auf dem Weg zum Zigarettenautomaten oder zur nächsten Kneipe waren, und ein Grüppchen Kinder spazierte tatsächlich noch mit Laternen herum. Die Kids sangen »Ich geh mit meiner Laterne«, obwohl jeder Blinde auch ohne ihren Gesang kapierte, was sie so taten. Kinder, ich sag’s ja!
In der Altstadt wuchsen eher wenige Tännchen, daher erleuchteten auch kaum einfarbige oder bunte Lichterketten die Nacht vom 3. Advent. Stattdessen klebten Sterne in allen Farben, Formen und mit allerlei schrägen Mustern an den kleinen Fensterscheiben oder über den Haustüren, und Girlanden waren überhaupt nicht vorhanden. Irgendwann landete ich dann in einer dunklen menschenleeren Sackgasse, drehte um, sah die Spuren meines Radls im Schnee – und wunderte mich.
Außer meinen sah ich nämlich eine zweite Radlspur. Sofort hatte ich wieder das komische Gefühl im Rücken. Himmel aber auch! Ich war echt ein mieser Detektiv – ich hatte niemanden gesehen oder gehört. Und doch folgte mir jemand!
Da gab’s nur eins: Flucht!
Wie wild trat ich in die Pedale und hatte das Ende der Sackgasse auch schon fast erreicht, als mir ein genialer Gedanke durchs Hirn schoss: Ally, versteck dich!
Ich bog um die Ecke und suchte mit den Augen die Reihe der Häuser nach einer geeigneten Nische ab. Und da war eine! Wie der Blitz stieg ich ab, schob das Rad in einen engen, absolut finsteren Durchgang, lehnte es an die Wand, kniete mich mit hämmerndem Herzen in den Schnee, stützte mich mit den Händen ab und lugte um die Hausecke.
Ich musste nicht lange warten. Zehn, zwanzig Sekunden. Maximal eine Minute vielleicht. Zuerst hörte ich das leise Knirschen der Räder im Schnee, dann schälte sich ein nachtschwarzes Radl aus der nicht ganz so schwarzen Finsternis, darauf befand sich eine dunkle Gestalt, die, im Gegensatz zu mir, vorschriftsmäßig mit einem Fahrradhelm ausgestattet war. Der leuchtete fast so hell wie die Birnen einer Lichterkette.
Die Gestalt fuhr also auf dem Radl und an meinem Versteck vorbei, verlangsamte die Fahrt, bremste, stieg ab, spielte mit der Nase knapp überm Schnee Winnetou, der Fährtenleser, schaute nach links und nach rechts, obwohl es da überhaupt nichts Besonderes zu bestaunen gab, und lehnte das schwarze Radl an die Hauswand.
Ich schluckte hastig und hielt verzweifelt die Luft an, sonst wäre mir nämlich mein Herz vor lauter Angst aus dem Mund gehüpft: Die schwarze, behelmte Gestalt näherte sich meiner Nische!
Schon fühlte ich die eiskalten Hände, die sich um meinen zarten Hals schlossen und mir mit dem Atem auch das Leben raubten – Herr im Himmel! Hilf!!!
»Ally?«
Ally? Wieso Ally?
»Komm raus, ich weiß, dass du dich hier versteckst!«
Vor Erleichterung küsste ich fast den Schnee: Ich war noch mal mit dem Leben davongekommen! Aber dann – dann sprang ich auf und brüllte, was meine Lungen hergaben. »Du Trottel! Dich zeig ich an! Was fällt dir ein, mich schon wieder zu verfolgen!?« Na ja, was ich dem Depp sonst noch an den Kopf warf, war extrem unhöflich und muss an dieser Stelle nicht wiedergegeben werden. Als ich meiner Empörung genügend Luft verschafft und um einiges ruhiger geworden war, meinte Jan so leise, dass ich ihn kaum verstand: »Ich wollte dich beschützen, Ally. Ehrlich, ich hab’s nur gut gemeint. Und wenn du mich für einen Spanner hältst, bist du auf dem Holzweg. Glaub mir das.«
»Mich beschützen? Wovor denn? Ich bin mein ganzes Leben ohne Schutz ausgekommen.«
»Aber –«
»Nix aber! Ich hab ’ne akute Schutzallergie, nur dass du es weißt!«
»Gut. Jetzt weiß ich’s.« Jan streckte die Hand aus. »Freunde?«
»Nein. Niemals.«
»Schade. Was dann?«
»Bekannte. Allerhöchstens.«
»Besser als
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