Weihnachtsglanz und Liebeszauber
Rese eine heiße Liebesbotschaft und tauschte in der großen Pause das Zettelchen gegen das Geschenk, das er für sie besorgt hatte. Giselbert bedankte sich für meine Mühe und versprach mir hoch und heilig, den Text eins zu eins abzuschreiben, vorausgesetzt, er bekäme morgen Nachschub. »Klar doch«, sagte ich. »Dein und Reses Glück geht mir über alles, Giselbert.«
Bis zu diesem Augenblick war ich ziemlich entspannt; erst als mir meine Freundin Jule in der großen Pause aufzählte, welche Weihnachtsgeschenke sie schon für ihre Lieben unterm Bett gehortet hatte, fuhr mir der Schreck so richtig in die Knochen. Ich hatte noch kein einziges!
Obwohl wegen Nicks »Hilfe-für-den-Nachbarn«-Sammelwut meine Finanzlage absolut katastrophal war, schlurfte ich am Nachmittag über den Weihnachtsmarkt: überall Wucherpreise. Nur die Freundschaftsbändchen waren erschwinglich, aber wer beglückt seine Eltern schon mit Freundschaftsbändern?
Aus dem Angebot suchte ich dann doch eines für Benno heraus; vielleicht heiterten die bunten Farben den Miesepeter ein bisschen auf. Für Fury kaufte ich eine super Creme zur Fellpflege, danach hatte ich noch Euro 1, 27 und war so gut wie pleite. Allerdings bestand Hoffnung: Wenn ich nämlich die Girlande mit der Lichterkette finden würde, könnte ich ein güldenes Band herumbinden und sie als Geschenk für die ganze Familie untern Baum legen. Ich fand die Idee spitzenmäßig und kaufte für einen Euro schon mal das Band. Es war nicht das schönste und schon gar nicht das breiteste, aber wenigstens stahl es dem Geschenk nicht die Schau.
Am späten Nachmittag wollte ich die Gegend um unsere Sporthalle samt Freibad abradeln. Kaum war ich aufgestiegen, stellte sich prompt wieder das komische Gefühl im Rücken ein. Der kann was erleben, dachte ich, radelte um die Ecke und hinter den ersten Baum. Und schon gondelte Jan daher, ich schoss aus der Dunkelheit und voll in sein verrostetes Radl. »Blödfrau!«
»Das war Absicht, du Blödmann!«, schrie ich, warf mein Radl herum und düste fort. Das komische Gefühl war weg und kam auch nicht wieder. Gut so.
Rese freute sich nicht besonders über ihr zweites Freundschaftsbändchen, obwohl Giselbert, der Geizkragen, »Doppelt geknüpft hält besser«, über meine Liebesbotschaft geschrieben hatte. Echt, die hatte es in sich. »Mein Herz glüht für dich heißer als die Sonne im August« – das klang einwandfrei, stammte aus dem Internet und versetzte Rese in Ekstase.
Auf dem Weg zur Schule heute Morgen überholte ich einen Fußgänger mit einem Schopf in Paris-Hilton-Silberblond. Ich bremste, wartete kurz und fragte freundlich: »Mitfahrgelegenheit gewünscht?«
»Danke. Ich fahre lieber selber.«
»Bist wohl beklötert? Wie soll das gehen, so ohne Rad?«
Da packte mich der Wikinger, hob mich einfach vom Sattel und setzte sich selbst drauf. »Mitfahrgelegenheit gewünscht?«
»Blödmann!« Was blieb mir übrig? Ich schwang mich auf den Gepäckträger und ab ging die Post.
Wir überholten meine Schwester. Komplett mit Haarspange, zwei Freundschaftsbändchen und der Aussicht aufs nächste Geschenk heute Abend. »Hallo Rese!«, brüllte ich.
Als sie ihres und Jan mein Radl im Schulhof abstellte, fragte sie natürlich gleich: »Seit wann kümmerst du dich um meine kleine Schwester mit dem Wischmopp auf dem Kopf?«
»Kleine Schwester stimmt. Wischmopp?« Jan grinste. »Also ich weiß nicht. In meinen Augen sind das Haare, die sie auf dem Kopf hat.«
Rese hängte sich ihm an den Hals. »Danke für das süße Freundschaftsbändchen«, hauchte sie ihm ins Ohr.
»Tau’n Deiwel aber auch. Spinnst du?« Jan machte sich los und hüpfte sicherheitshalber einen Schritt rückwärts. Giselbert hatte die Szene voll im Blick. Er schaute mich kummervoll an und hob die Schultern. Ich schlenderte zu ihm rüber. »Alles wird gut«, tröstete ich ihn.
»Hoffentlich. Sonst hab ich nix als Auslagen.«
»Das bisschen Knete muss dir die Rese schon wert sein, Giselbert. Und glaub mir – ich tu für dich, was ich kann.«
»Hoffentlich«, wiederholte er.
Zu Hause war wieder dicke Luft. Das merkte ich schon, als ich zur Küche rein kam. Meine Mutter stand am Tisch und zählte Orangen. »Ich weiß bestimmt, dass ich zehn Stück gekauft habe. Jetzt sind aber nur noch acht Orangen in der Obstschale. Wie kann das sein?«
»Wann hast du sie gekauft?«, erkundigte sich Rese gelangweilt. »Heute früh.«
Wir, Rese, Nick und ich, waren gleichzeitig gekommen.
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