Weihnachtsglanz und Liebeszauber
dass die bald unsichtbar wurden.
Wegen des starken Schneefalls waren die Sträßchen menschenleer. Das war schon mal gut, denn wenn jemand mit seinem Hund unterwegs gewesen wäre, hätte er sich über eine Person, die von Tür zu Tür rannte, echt gewundert.
Und dann passierte es: An der Tür eines Doppelhauses las ich zufällig den Namen am Schildchen unter der Klingel »Eberhard Rattelhuber« – Herr im Himmel aber auch!
Da also wohnte der scharfe Hund, der das Blutbad in meinem Heft angerichtet hatte! Aber das war noch nicht alles. Über der anderen Tür des Doppelhauses hing eine Girlande.
Die war so lang und so schön wie die, die uns geklaut wurde.
Das war die gesuchte! Hundertpro! Nein, tausendpro!!!
In null Komma nichts hatte ich die Drahtschlaufen aus den Haken gefieselt. Zwei Mal schlang ich die Girlande um meinen Hals und rannte zu meinem Rad. Ein Glücksfall, dass es so stark schneite!
Mein Rad rutschte und schlingerte durch den Schnee, aber eine Viertelstunde später war ich zu Hause, stellte es ab und rannte in den Stall, wo mein Pa und Benno gerade ihre Runde drehten. Ich drückte mich ins Heu und wartete ungeduldig, bis sie allen Pferden Gute Nacht gewünscht hatten und im Büro verschwunden waren, wo sie sich wie jeden Abend bis zum Essen ums Geschäftliche kümmerten.
Es knackte irgendwo. War da jemand? Ich horchte; nein, die Männer waren todsicher im Büro. Mit zitternden Fingern rollte ich die Girlande, mein kostbares Weihnachtsgeschenk, eng zusammen, um sie bis Heiligabend im Heu zu versenken. Da, erst da fiel mir das kleine Schildchen auf: »Blumenhaus Vergissmeinnicht«.
Wie bitte? Blumenhaus Vergissmeinnicht? Meine Mutter kaufte immer in Irenes Blumenladen ein. Das Vergissmeinnicht war ihr zu teuer, und überhaupt konnte sie die Verkäuferin dort nicht leiden. Die Girlande sank zu Boden: Hatte ich wieder mal die falsche erwischt? Hatte ich mir gewünscht, es wäre die richtige und deshalb … Ich legte die Girlande aus und schätzte die Länge ab.
Konnte es tatsächlich sein, dass sie zu kurz war? Das musste ich überprüfen! Mein Blick fiel auf die Schnüre am Haken, ich zog einen herunter, legte ihn an die Girlande, machte einen Knoten in der richtigen Länge, rannte auf Zehenspitzen los, die Boxengasse entlang, Fury wieherte leise, die anderen Pferde dösten schon – und prallte in eine Gestalt. Fast hätte ich geschrien. Fast. Jemand hielt mich fest und presste meinen Kopf an seinen Leib.
Was zum Teufel aber auch …
»Tau’n Deiwel, Ally! Halt den Mund! Ich bin’s!«
Es war der Wikinger. Schon wieder der! »Verdammt aber auch! Was tust du hier?«
»Was wohl?«
Ich war zu entsetzt und auch viel zu wütend, um mit ihm zu streiten. Und überhaupt war die Zeit knapp: das Abendessen! Und die Girlande – war es wirklich die falsche?
»Lass mich! Ich muss was prüfen!« Die Schnur hinter mir herziehend rannte ich ins Freie. Ich hätte die Leiter gebraucht, um die Girlande zu messen. Was für ein Mist! Jan war größer als ich. »Hier! Nimm das – !« Ich deutete nach oben.
Er kapierte sofort, stellte sich auf Zehenspitzen, legte die Schnur an … Himmel aber auch! Unsere Girlande war um etliches länger.
Mein Herz klopfte wie wild. »Es ist die falsche.«
»Bring die andere zurück, Ally!«
Nichts leichter als das. Ich schaute auf die Uhr; es könnte gerade noch bis zum Abendessen reichen. Aber es handelte sich um die Girlande vom halben Haus neben Ebi Rattelhofers. Hatte ich ein zweites Mal Glück? Oder würde der scharfe Hund gerade dann nach dem Schnee schauen, wenn ich die falsche Girlande wieder an die Haken hängte?
O Gott, in welches Schlamassel hatte ich mich da reinmanövriert? Und alles nur wegen einem Weihnachtsgeschenk für die ganze Familie! Weil ich nur noch Cent 27 besaß! Weil ich sozusagen pleite war! Weil ich die ganzen Euros meinem mitleidigen Bruder in die Pfote gedrückt hatte! Das hatte ich jetzt davon!
»Ich kann die Girlande aber auch zurückhängen«, erbot sich Jan.
»So weit kommt’s noch!«, schimpfte ich und überlegte: Raus aufs Rad, hin zu Rattelhubers Nachbarhaus, Girlande hoch, zurück.
Es würde wirklich knapp werden, aber mit ein bisschen Glück waren nicht mehr als zehn Minuten Verspätung drin.
Ich riss Jan die Schnur aus der Hand, rannte in den Stall, warf die Schnur über den Haken, schnappte die Girlande, schlang sie zwei Mal um den Hals, düste raus, holte das Rad.
Und war weg.
Es schneite wie verrückt, mein Rad
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