Weihnachtsglanz und Liebeszauber
schlingerte wie die Titanic kurz vorm Untergang, aber ich schaffte die Strecke in null Komma nichts, stellte das Rad zwei Häuser vorm Doppelhaus ab und –
»Mensch, Jan!« Jetzt war nicht die Zeit für einen saftigen Streit, jetzt hatte ich Wichtiges zu erledigen! Ich pirschte mich ans Doppelhaus, horchte … alles totenstill, nur ein Depp würde bei dem Schneefall aus dem Warmen kommen … stellte mich auf Zehenspitzen, versuchte, die Drahtschlingen in die Haken zu hängen … und wurde zur Seite geschubst.
»Lass mich ran!«
Es war gut, dass Jan so viel größer war als ich. Ich hätte vermutlich die Girlande vor die Tür legen müssen, und die Besitzer hätten dann das Wunder der liegenden Girlande dem Nikolaus in die roten Stiefeln geschoben – hundertpro!
Ich hielt den Atem an und drückte uns die Daumen, und die Girlande hing auch schon so gut wie über der Tür, aber dann passierte Jan ein kleines Missgeschick. Mit der rechten Hand hängte er die vorletzte Schlinge ein, mit dem linken Arm stützte er sich an der Hauswand ab, der Ellbogen lag auf Höhe der Klingel – das blöde Dingdong, Dingdong war meilenweit zu vernehmen!
Wie die Hasen hüpften wir das Wegchen zurück und versteckten uns hinter einem Busch, der sich unter der Last des Schnees durchbog.
Prompt ging erst das Licht im Flur an, was wir wegen eines Fensterchens sehen konnten, dann öffnete sich die Tür, dann trat ein Mann heraus, ihm folgte ein zweiter … Rattelhuber!!!
Voll der Wahnsinn …
Die Männer sahen zuerst die Spuren im Schnee, dann das herunterhängende Ende der Girlande samt Lichterkette, und dann, dann taten sie das, was ich an ihrer Stelle auch getan hätte: Sie folgten den Spuren unserer Stiefel.
Das Blutbad, das Rattelhuber in meinem Bio-Heft veranstaltet hatte, war nichts im Vergleich zu dem, das mir jetzt bevorstand – der würde mich in der Luft zerreißen, der scharfe Hund!
Mir fiel das Herz in die Hose.
Da zischte Jan mir ins Ohr: »Rühr dich nicht vom Fleck! Kapiert?« Und weg war er. Er düste hinterm Busch vor und raus auf die Straße, dass der Schnee nur so durch die Luft wirbelte. Die zwei immer hinter ihm her. »Haltet den Dieb!«, brüllten sie.
Aber klar: Bei dem Schneefall blieb jeder im Warmen, der nicht unbedingt raus musste. Zum Beispiel einen Girlandendieb verfolgen oder so.
Ich rührte mich nicht. Nach einer Weile gaben Rattelhuber und Nachbar die Verfolgung auf und kamen zurück. Mein Gott, wie die schnauften! Wie altmodische Dampflokomotiven!
Zuerst blieben sie noch eine Weile vor der Haustür stehen, dann hängte Rattelhuber die letzten Drahtschlingen in die Haken, er war nämlich größer und nicht ganz so dick wie sein Nachbar, dann unterhielten sie sich noch kurz über den frechen Dieb, der ihnen unerkannt entwischt war, dann sagte der Nachbar: »Jetzt ein Bierchen oder zwei, was?« und Rattelhuber folgte ihm ins Warme.
Die Tür schloss sich, und nach gefühlten hundert Stunden atmete ich wieder normal und schlich auf die Straße raus.
Der Rattelhuber war ja vielleicht behämmert! Hatte geglaubt, er und sein Nachbar hätten es mit nur einem Dieb zu tun! Ja, ja, in den Fächern Beobachten, Kombinieren und Verfolgung aufnehmen hatte er lauter Sechser verdient!
Das freute mich.
Es freute mich auch wahnsinnig, dass Jan ihnen so locker entkommen war. »Das war überhaupt kein Problem«, sagte er, als wir auf unseren Rädern durch den Schnee rutschten. »Hat mir direkt Spaß gemacht. Aber weißt du was, Ally? Dass du zum ersten Mal das getan hast, was ich dir gesagt hab, das freut mich echt.«
»Bilde dir bloß nichts darauf ein«, fauchte ich. »Gerannt wäre ich so flott wie du; nur gedacht habe ich nicht so schnell.«
Er lachte so richtig fies. »Warum bist du eigentlich so versessen auf die blöde Girlande? Wo doch längst wieder eine über der Stalltür hängt?«
»Geht dich nichts an.«
»Hör mal! Ich hab dich aus dem Schlamassel gezogen! Der Rattelhuber hätte dich durch den Wolf gedreht! Findest du nicht, dass du mir was schuldig bist? Also sag schon: Warum bist du so wild auf die Girlande?«
Das mit Rattelhuber stimmte, also sagte ich ihm, dass ich pleite und daher total unfähig war, auch nur das allerkleinste Weihnachtsgeschenk zu kaufen.
»Ich leihe dir ein paar Euro«, sagte Jan sofort.
»Nett von dir. Aber mir fällt schon noch etwas ein«, antwortete ich rasch.
»Ja? Was denn?«
Wir bogen in unsere Hofeinfahrt ein. Ich bremste. »Weiß noch nicht. Gute Nacht
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