Weihnachtszauber 02
Auf der Fahrt hierher hatten sie keine Schiffe oder Boote gesehen. Die kalte Nacht versprach andauerndes schlechtes Wetter. In zwei Wochen würde eine neue Lieferung eintreffen, und sie einigten sich auf die Nacht nach dem Dreikönigstag.
Jack beobachtete, wie White und der Franzose kleine Lederranzen austauschten.
Wie er bereits wusste, enthielten sie Papiere, die das betrügerische Geschäft tarnten. Dokumente und Geld. Abscheu und Zorn stiegen in ihm auf. Trotzdem trug er eine gleichmütige Miene zur Schau. Nun wurde der erste Teil des Cognacs von der
„Bien Aimé“ auf die „Swift“ verladen, eine mühsame Prozedur. Die hölzernen Fässer waren nicht groß, wogen aber über fünfzig Pfund pro Stück. An Land ließen sie sich leichter handhaben. Aber in einer dunklen, stürmischen Nacht, bei starkem Wellengang, bereitete der Transfer zwischen zwei Booten beträchtliche Schwierigkeiten.
Immerhin verlief das Manöver mittels eines Flaschenzugs und eines Fischernetzes für jedes Fass einigermaßen reibungslos. Toms Abwesenheit schien die Arbeit an Bord der „Swift“ nicht zu verzögern.
Stets auf alle Unwägbarkeiten gefasst, verfolgte Jack die Ereignisse, wartete und lauschte. An der Hüfte spürte er das Gewicht seiner Pistole. Wieder einmal dachte er an Francesca, die in dieser Nacht so viel erdulden musste, an ihren Mut, ihre innere Kraft – an ihre weichen Lippen, den süßen Duft, das Gefühl ihres Körpers unter seinem. Bei dieser Erinnerung spannten sich seine Lenden an. Beinahe lachte er über die Ironie der Situation. Eine knappe Stunde hatte er damit verbracht, der Bootsbesatzung vorzugaukeln, er würde mit der jungen Dame schlafen – obwohl es viel leichter gewesen wäre, sie einfach zu überwältigen. Er begehrte sie, sogar sehr.
Aber jene Tage hemmungsloser Gelüste gehörten der Vergangenheit an, und er wusste, er würde dieselbe Entscheidung notfalls noch tausendmal treffen.
Francesca wandte sich zu ihrem Bruder, der zusammengesunken am Boden saß. So gut es ging, schloss sie die Häkchen des teilweise zerrissenen Kleids an ihrem Rücken. Dabei verrenkte sie sich qualvoll die Arme. Erst als sie halbwegs präsentabel aussah, setzte sie sich zu Tom.
Vorsichtig strich er über seinen Hals, dann rieb er seinen misshandelten Fußknöchel.
„Verdammter Schuft!“, flüsterte er heiser. „Und was hat er mit meinem Knöchel gemacht? Der schmerzt wie die Hölle.“
„Tom!“, entrüstete sie sich. „Diese Ausdrucksweise ist nicht nötig.“
„Doch!“, krächzte er. „Nachdem ich sah, wie er sich meiner Schwester aufdrängte ...“
„Das tat er nicht. Es geschah nur zum Schein, damit Mr White annahm, Mr Black würde sich mit mir amüsieren.“
Sein Gesicht war bleich und verkniffen. „Großer Gott, Fran, er schloss seine Breeches. Das konnte ich beobachten.“
„Sei versichert, ich sage die Wahrheit.“ Beschwörend schaute sie ihm in die Augen, wollte ihn zwingen, ihr zu glauben. „Hätte Mr Black uns nicht geholfen, wären wir jetzt beide tot. Mit deinem Wutanfall hast du’s fast verdorben.“
„Was sollte ich denn tun? Einfach weggehen?“
„Ja!“
„Aber ich dachte, er ...“ Seine Lippen verzerrten sich.
„Das weiß ich. Und alle, die in die Kabine starrten, sollten dasselbe vermuten.“
Stöhnend lehnte er sich an die Holzwand. „Um Himmels willen, Fran, was tun wir jetzt?“
„Wir vertrauen Mr Black. Keine Bange, er wird richtig handeln.“ Mit einem tapferen Lächeln versuchte sie ihren Bruder aufzumuntern. „Morgen sind wir wahrscheinlich wieder in Lannacombe und bereiten das Weihnachtsfest vor. Und wenn wir Glück haben, wird Mama gar nicht erfahren, dass wir heute Nacht das Haus verlassen haben.“
Welch eine trügerische Hoffnung, dachte sie bedrückt.
Emsig arbeiteten die Männer und holten die Fässer von der „Bien Aimé“ an Bord der
„Swift“. Als die Hälfte der Fracht verladen war, segelte die Kriegsfregatte „Hawk“ aus der Finsternis herbei. In rasanter Fahrt näherte sie sich den beiden Booten.
„Tod und Teufel!“, stieß White hervor. In wildem Zorn ließ er seinen Blick über die Besatzung schweifen. „Machen Sie uns los, Weasel! Sofort, Mann!“
Auf beiden Booten brach eine Panik aus. Jack hörte englische und französische Flüche und gellendes Geschrei. In aller Eile wurden die Verbindungstaue zerhackt.
Unbeachtet versanken die Enterhaken im Meer. Jetzt zählte nur noch eine möglichst schnelle Flucht. Doch die Männer
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