Weihnachtszauber 02
Leben gerettet hatte.
Langsam überkam Amelia das Gefühl, dass sie Gray doch weniger gut kannte, als sie gedacht hatte ...
„Sobald das Dinner beendet ist, möchte ich mit dir unter vier Augen sprechen!“, sagte Gray, als Amelia von der letzten Stufe trat, und hakte sich bei ihr unter, um sie ins Speisezimmer zu geleiten. Sie trug ein blaues Seidenkleid im Farbton ihrer Augen, ihren Hals schmückte eine einreihige Perlenkette.
Unter gesenkten Lidern blickte sie ihn an. „Worüber willst du mit mir unter vier Augen sprechen, Gideon?“
Gray hatte sich vor wenigen Minuten zu den anderen Herren in die Bibliothek begeben, in der Absicht, entspannt einen Drink zu genießen, bevor sie sich zum Dinner zu den Damen gesellten. Nach dem unangenehmen Gespräch mit Hawk hatte er das Gefühl gehabt, eine ganze Karaffe Brandy austrinken zu können, ohne die geringste Wirkung zu verspüren.
Es hatte nicht lange gedauert, da stellte Gray fest, dass sich sein Freund Sebastian, seine beiden Brüder und auch Darius auf seine Kosten lustig machten.
Zunächst hatte er sich gefragt, ob Hawk seinen Brüdern den Inhalt ihres Gesprächs mitgeteilt hatte. Doch ein Blick in das asketische, ernste Gesicht des Dukes genügte, um ihm zu versichern, dass dieser sein Wort niemals brechen würde. Und Hawk hatte versprochen, ihre Unterhaltung vertraulich zu behandeln.
Das ließ darauf schließen, dass ihn vermutlich die schelmische, übermütige Arabella der Lächerlichkeit preisgegeben hatte ...
„Es muss genügen, wenn ich dir sage, du musst mir einige Minuten deiner Zeit schenken, sobald dies nach dem Dinner möglich ist“, gab Gray mit finsterem Blick zurück.
Sie nickte gnädig. „Welch glücklicher Zufall, denn auch ich wünsche einige Minuten deiner Zeit, ‚sobald dies nach dem Dinner möglich ist‘.“
Amelia hatte die Stunden bis zum Dinner allein in ihrem Schlafgemach verbracht.
Stunden, in denen sie genügend Zeit fand, um über ihr Gespräch mit Arabella nachdenken zu können.
Sie fragte sich, warum Gray sie in dem Glauben gelassen hatte, dass die Gerüchte über ihn der Wahrheit entsprachen.
Und sie wunderte sich, angesichts Arabellas Äußerung, er hätte zur Rettung ihres Lebens einen Mann erschossen, erneut, woher die Narben auf seiner Brust und seinem Rücken stammten ...
9. KAPITEL
Als sich die Damen in den Salon und die Herren zu Brandy und Zigarren in die Bibliothek zurückzogen, war es Gray endlich möglich, Amelia zur Seite zu ziehen, um sich mit ihr im Wintergarten zu unterhalten. Seine Laune indes hatte sich nicht gebessert.
Wie konnte er auch besserer Stimmung sein, wenn er in den vergangenen Stunden hatte zusehen müssen, wie Amelia gleich von mehreren zu den Weihnachtsfeierlichkeiten eingeladenen Herren umworben und umschmeichelt wurde? Da war zum einen Jeremy Croft, der Erbe des Nachbargutes, ebenso wie einige der Vettern der Familie St Claire. Sogar der Earl of Whitney, Hawks sympathischer verwitweter Schwiegervater, hatte Amelia überaus große Aufmerksamkeit gewidmet.
Gray, der an dem langen Dinnertisch enervierend weit von ihr entfernt saß, war gezwungen, dem tatenlos zuzusehen, und hatte mit Verdruss wahrgenommen, dass ihr die Aufmerksamkeiten und Komplimente offensichtlich zu gefallen schienen. Und warum auch nicht? Hatte er ihr nicht aus ebenjenem Grund eine Saison in London vorgeschlagen? Damit sie Bekanntschaft mit anderen Gentlemen schließen und es genießen konnte, von ihnen den Hof gemacht zu bekommen?
Möglicherweise ja – allerdings hatte er zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen können, wie sehr es ihm missfallen würde, dem zuschauen zu müssen!
Im Wintergarten hatte man mehrere Kerzen für die Gäste angezündet, die sich dort von dem Trubel der Festlichkeiten ein wenig erholen wollten. Gray bedachte Amelia, die anmutig auf der Kante eines gepolsterten Korbstuhls saß, von oben herab mit einem ärgerlichen Blick. „Du scheinst dich gut zu amüsieren.“
Sie nickte kurz. „Ja, alle sind sehr freundlich zu mir.“
Gray verengte die Augen. „Willst du etwa andeuten, ich bin es nicht?“
„Deute es, wie du möchtest“, gab Amelia schnippisch zurück. Es war für sie ganz offensichtlich, dass Gray Streit suchte. Er hatte sie fast den ganzen Abend lang mit düsterer Miene beobachtet und sie, sobald es die Etikette zuließ, bei der Gastgeberin entschuldigt, um sie eilig in den stillen, verlassenen Wintergarten zu ziehen. Einen Ort, an dem er vermutlich ungestört mit ihr sprechen
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