Weihnachtszauber 02
Verletzungen hatten sie das wahrscheinlich für einen Segen gehalten. Und es wäre tatsächlich erstrebenswert gewesen. Doch er hatte keinen Schlaf gefunden, denn die Sorge um die Zukunft raubte ihm alle Hoffnung auf erholsame Ruhe.
Er hatte beschlossen, niemand dürfte ihn klagen hören. Immerhin war er ein Soldat, und andere hatten noch schlimmer gelitten als er.
Und jetzt – vielleicht lag es am Gedanken an zu Hause oder an der anonymen Situation – musste er sich dieser Frau anvertrauen, das Ausmaß seiner Feigheit gestehen, wenn auch nur einer unbekannten Stimme in der Dunkelheit.
Voller Selbstverachtung verzog er den Mund, weil es so lächerlich klingen würde, was er zu sagen hatte. Von einem schmerzhaften Ziehen in seiner verbrannten Wangenhaut wurde die Bewegung behindert. Doch das Geständnis rang sich wie von selbst aus seiner Kehle.
„Wie ein Kind fürchte ich mich in der Dunkelheit.“
Dann verstummte er und erwartete eine strenge Moralpredigt oder sogar einen Tadel wegen seiner Schwäche. Stattdessen schwieg die Frau – so lange, dass er wieder die Laute menschlicher Qualen ringsum hörte.
Schließlich fragte sie: „Sie nehmen bereitwillig Wasser von mir an, aber nicht meine Hilfe, wenn ich Sie umherführen würde?“
„Nicht wenn ...“ Er zögerte, bevor er die Wahrheit aussprach. „Nicht wenn ich für immer geführt werden müsste.“
Nie mehr reiten. Nie mehr tanzen. Nie wieder unbeschwert über eine Wiese wandern. Nie die Gesichter seiner Kinder sehen.
Bei diesem Gedanken schien sich ein schweres Gewicht auf seine Brust zu legen.
Noch nie im Leben hatte er an seine künftige Nachkommenschaft gedacht, immer war etwas anderes wichtiger gewesen. Freunde. Sein Regiment. Die Kameraden. Der berauschende Sog der Gefahr, der sie täglich die Stirn boten, manchmal mit einer Zuversicht, die an Wahnsinn grenzte.
Jetzt erstreckte sich vor ihm eine Vision seines restlichen Daseins – eine Kombination aus Abhängigkeit und Invalidität. Diesem Los würde er sogar den Tod vorziehen, am besten hier, fern von allem, was er jemals gekannt und geliebt hatte.
„Weil Sie dann kein ganzer Mann mehr wären, Sir?“
Mochte es das sein, was er fürchtete? Zeugungsunfähig infolge seines Gebrechens?
„Müsste ich damit rechnen?“
Sie war eine Frau. Sicher konnte sie diese Frage besser beantworten als er selbst.
„Nach meiner Ansicht würde das von dem Mann abhängen, der Sie früher waren.“
Darüber dachte er eine Zeit lang nach und nutzte die geistige Herausforderung, um die unbarmherzigen Schmerzen im Zaum zu halten. Natürlich wusste er, welchen Ruf er genoss. Furchtlos. Dieses Wort war oft genug gebraucht worden, um ein leichtfertiges Abenteuer zu schildern, in das er sich bedenkenlos gestürzt hatte.
Und darin lag die Kernfrage. Niemals hatte er über den Moment zwischen Leben und Tod hinausgedacht, niemals die Möglichkeit eines Lebens erwogen, das sich von seinen gewohnten Erfahrungen unterschied. Besaß er den Mut, mit der Behinderung zu leben, die er sich ausmalte, seit sie die Binde über seine Augen gelegt hatten?
„Gewiss führt man ein einfaches Leben, wenn man jung und frei und stark ist.“ Die Stimme neben ihm echote seine Gedanken. „Aber ohne das alles – ich glaube, das Schicksal der Blindheit erfordert einen Mann von bemerkenswertem Mut.“ Sie sprach so leise, dass er sich anstrengen musste, um das letzte Wort zu verstehen.
Und dann, in der Stille, die endlich auf die Verwundeten herabgesunken war, ertönte fernes Glockenläuten, ein heiterer, klarer Klang, ganz anders als das Stöhnen der Leidenden.
Ein Fest? Die Feier eines hart erkämpften Sieges, in einer Schlacht, an der er nicht teilgenommen hatte?
„Was bedeutet das? Was geschieht da draußen?“
„Weihnachten.“ In der Frauenstimme schwang Staunen mit. „Der Weihnachtsmorgen. Das hatte ich ganz vergessen ...“ Der letzte Satz wies auf schwache Belustigung hin.
„Weihnachten“, wiederholte er kaum hörbar.
Erinnerungen, die dieses Wort heraufbeschwor, stürmten auf ihn ein und verjagten das Dunkel, das alles Gute in seinem Leben zu vernichten gedroht hatte. Plötzlich erschienen tausend Bilder, hell und fröhlich und einst so vertraut, so geliebt.
„Eine Jahreszeit voller Wunder“, fügte sie hinzu. „Vielleicht ...“
Erneut verhallten die restlichen Worte. Doch sie waren überflüssig. Was wirklich zählte, hatte sie bereits gesagt.
Daran klammerte er sich in den nächsten langen Tagen und
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