Weihnachtszauber 02
Gentleman, Mrs Stowe.“ Die Haushälterin kehrte in die Bibliothek zurück.
„Und er besteht darauf, mit Ihnen zu sprechen.“
„Hat er seinen Namen genannt?“
„Wakefield. Anscheinend kommt er nicht aus unserer Gegend. Zu vornehm, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
Da war Isabella sich nicht sicher. Doch sie stand auf und strich die Falten in ihrem Rock glatt. An diesem Morgen trug sie ihr zweitbestes Kleid, das schon mehrmals sorgsam geflickt worden war. Falls der Gentleman an der Haustür gehobenen Kreisen angehörte, wie Hannah es behauptete, sollte sie die Dienerin anweisen, ihn in den Salon zu führen. Doch das tat sie nicht, weil sie sich nicht vorstellen konnte, ein echter Gentleman würde sie besuchen. Viel eher war er von jemandem hierher geschickt worden, der einige ihrer Schulden eintreiben wollte. Und falls das zutraf ...
„Ich spreche mit ihm“, kündigte sie an.
Die Haushälterin öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Mittlerweile war Isabella bereits an ihr vorbei ins Vestibül gegangen. Hannah hat recht, entschied sie beim Anblick des Besuchers. Um in die Kategorie zu passen, in die sie ihn eben noch eingeordnet hatte, sah er zu distinguiert aus.
Zaudernd hielt sie inne. Doch der Mann spürte ihre Anwesenheit, wandte sich zu ihr und beseitigte den letzten Rest des Verdachts, er könnte der Bote eines Geschäftsmanns sein.
Vom kunstvoll geschlungenen Krawattentuch bis zu den glänzend polierten Reitstiefeln war er jeder Zoll ein Gentleman. Wahrscheinlich hatte der Zylinder in seinen Händen mehr gekostet als die Summe, die sie letztes Jahr für ihren Haushalt ausgegeben hatte.
„Mrs Stowe?“
„Ja?“
Seine hochgezogenen Mundwinkel erzeugten ein sonderbares Gefühl in ihrer Magengrube. Wie sie jetzt feststellte, war der Besucher nicht nur tadellos gekleidet, sondern auch noch beängstigend attraktiv.
An seinen Schläfen durchzogen graue Fäden das pechschwarze Haar und schienen die jugendlichen Züge Lügen zu strafen. Am interessantesten fand sie ein leuchtend blaues Augenpaar, umrahmt von langen dunklen Wimpern, um die ihn jede Londoner Schönheit beneiden müsste.
„Wie kann ich Ihnen helfen, Mr – Wakefield, nicht wahr?“ Obwohl sie nervös an den Kragen ihres Kleides griff, widerstand sie immerhin dem lächerlichen Impuls, ihr unzulänglich frisiertes Haar zu berühren.
„Ja, so heiße ich“, bestätigte der Besucher nach einer kurzen Pause und ging zu ihr.
Erst jetzt entdeckte sie die Narben in seinem Gesicht, die das schwache Licht im Vestibül bisher verborgen hatte.
„Oh, ich kenne Sie“, flüsterte sie.
Ohne jeden Zweifel – der Jüngling, der im Hafen von St Jean de Luz, an der französischen Küste, auf das Transportschiff nach England gewartet und dem sie Wasser zu trinken gegeben hatte.
Jetzt kein Jüngling mehr, dachte sie. Falls er damals einer gewesen war.
Seine Finger glitten über die ein wenig verunstaltete rechte Wange. „Erinnern Sie sich an mich? Da war ich mir nicht sicher.“
„Natürlich erinnere ich mich.“ Jetzt verflog ihre Nervosität, denn sie konnte den Besuch in die richtige Perspektive rücken.
Mr Wakefield suchte sie auf, weil sie versucht hatte, ihm in der Stunde seiner Not beizustehen. So wie sie vielen Verwundeten während ihrer Jahre auf der Iberischen Halbinsel geholfen hatte. Er war nicht der Erste, der sich ihretwegen hierherbegab.
Nach Williams Tod waren mehrere Soldaten bei ihr erschienen, die gemeinsam mit ihm gekämpft hatten.
„Wie ich sehe, haben Sie sich von Ihren Verletzungen erholt“, bemerkte sie lächelnd.
Immer wieder freute sie sich, wenn sie jemandem gegenüberstand, der so schwere Wunden überlebt hatte, trotz seiner geringen Chancen.
„Obwohl ich so große Angst empfand.“
Als er ihr Lächeln erwiderte, wurde ihr emotionales Gleichgewicht, zu dessen Rettung sie sich gratuliert hatte, erneut bedroht. Warum, konnte sie sich nicht erklären.
„Wenn ich mich recht entsinne, war Ihre Furcht völlig berechtigt, Sir.“
„Vielleicht, aber ...“ Wieder zauderte er. „Hätten Sie mich nicht ermutigt ...“
„Ich bot Ihnen nur Wasser und ein paar tröstliche Worte an“, unterbrach sie ihn hastig, an den Umgang mit unwillkommener Dankbarkeit gewöhnt. „Wenn ich auch wünschte, ich hätte selber daran geglaubt – wahrscheinlich hätte ich die gleichen bedeutungslosen Phrasen dem Patienten im Bett an Ihrer Seite zugeflüstert.“
„Möglich.“
Nun lächelte er wieder, was ihr ein
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