Weil deine Augen ihn nicht sehen
anständiges Frühstück brauchen, aber ich kann das Kind nicht halb schlafend und ohne Jacke mit mir herumschleppen. Vielleicht sollte ich sie einfach im Zimmer einsperren und mir etwas zu essen besorgen. Dann könnte ich noch in ein Geschäft gehen und ein paar Sachen zum Anziehen für sie einkaufen. Ich werde die Koffer unter das Bett schieben und das Schild mit »Bitte nicht stören« an die Tür hängen. Vielleicht sollte ich ihr noch ein bisschen von dem Hustensaft geben – dann wird sie richtig schlafen.
Angie merkte, dass ihre gute Laune ziemlich verflogen war. Sie wurde immer ein bisschen biestig und fuhr schnell aus der Haut, wenn sie Hunger hatte. Kurz nach Mitternacht waren sie beim Motel angekommen. Zu diesem Zeitpunkt konnte sie kaum noch die Augen offen halten. Sie hatte das Kind schlafen gelegt und sich neben ihr auf das Bett fallen
lassen. Sie war sofort eingeschlafen, doch noch vor der Dämmerung wieder aufgewacht, als die Kleine zu husten und zu weinen angefangen hatte.
Danach hab ich nicht wieder richtig schlafen können, dachte Angie, ich habe nur ein bisschen gedöst, und deshalb fühle ich mich jetzt auch nicht sonderlich fit. Aber ich war doch schlau genug, diesen Führerschein mitzunehmen und mich hier unter dem Namen »Linda Hagen« anzumelden.
Letztes Jahr hatte sie eine Zeit lang das Kind von Linda Hagen gehütet, und eines Tages war Linda ganz aufgelöst nach Hause gekommen, weil sie gedacht hatte, sie hätte ihren Geldbeutel im Restaurant liegen gelassen. Als Angie das nächste Mal auf Hagens Kind aufgepasst hatte, sollte sie die Kleine mit dem Auto der Familie zu einer Geburtstagsfeier bringen. Und dabei hatte sie den Geldbeutel entdeckt, der zwischen die beiden Vordersitze gerutscht war. Als sie ihn geöffnet hatte, waren zweihundert Dollar und, was wichtiger war, der Führerschein darin gewesen. Natürlich hatte Mrs. Hagen die Kreditkarten schon sperren lassen, aber der Führerschein war ein echter Fund gewesen.
Wir haben beide ein schmales Gesicht und dunkelbraune Haare, dachte Angie. Auf dem Foto trägt Mrs. Hagen eine Brille mit dicken Gläsern, aber wenn ich in eine Verkehrskontrolle gerate, werde ich schnell eine Sonnenbrille aufsetzen. Man muss sich das Foto schon sehr genau ansehen, um auf den Gedanken zu kommen, dass nicht ich es bin, die darauf abgebildet ist. Jedenfalls bin ich jetzt hier als Linda Hagen angemeldet, und solange die Bullen Clint noch nicht aufgespürt haben und nach dem Transporter fahnden, bin ich erst mal für eine Weile sicher. Und sollte ich mich entschließen, irgendwohin zu fliegen, so komme ich mit Lindas Lichtbildausweis in jedes Flugzeug.
Wahrscheinlich würde Clint, falls ihn das FBI schnappen sollte, sagen, ich sei nach Florida unterwegs, überlegte Angie,
denn genau das vermutet er. Ihr war aber auch klar, dass sie den Transporter loswerden und sich einen Gebrauchtwagen kaufen musste.
Dann kann ich fahren, wohin ich will, ohne dass es jemandem auffällt, überlegte sie. Ich werde den Transporter irgendwo an einer Müllkippe stehen lassen. Ohne die Nummernschilder können sie ihn nicht zurückverfolgen.
Ich werde mit Clint in Kontakt bleiben, und wenn ich sicher bin, dass sie ihm nicht auf den Fersen sind, werde ich ihm vielleicht sagen, wo ich bin, damit er hierher kommen kann. Vielleicht lasse ich es aber auch sein. Erst mal werde ich ihm nichts sagen. Aber ich hab ihm versprochen, heute Morgen anzurufen, also werde ich das auch tun.
Sie nahm eines der Prepaid-Handys und gab Clints Nummer ein. Er war nach dem ersten Klingeln dran. »Wo steckst du?«, fragte er aufgebracht.
»Clint, hör zu, es war besser, dass ich schnell verschwunden bin. Ich hab das Geld bei mir, mach dir keine Sorgen. Wenn das FBI nun doch vor der Tür gestanden hätte, was wäre dann passiert, wenn ich und das Kind da gewesen wären, und dazu noch das Geld? Jetzt hör mir zu: Lass das Kinderbett verschwinden, sofort! Hast du Gus gesagt, dass du beim Klub kündigen willst?«
»Ja, ja. Ich hab ihm erzählt, man hätte mir einen Job in Orlando angeboten.«
»Gut. Dann reich heute deine Kündigung ein. Wenn dieser Schnüffler Gus wieder auftaucht, kannst du ihm erzählen, dass die Mutter des Jungen, auf den ich gerade aufpasse, mich gebeten hätte, ihren Sohn nach Wisconsin zu bringen. Sag ihm, ihr Vater sei gestorben und sie müsse dort bleiben und ihrer Mutter helfen. Sag ihm, wir würden uns in Florida treffen.«
»Angie, treib ja kein falsches Spiel mit
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