Weil deine Augen ihn nicht sehen
vorlesen, Schatz«, sagte Steve. »Geh das Buch holen.«
Margaret wartete, bis Kelly aus der Küche gegangen war, bevor sie zu reden anfing. Sie ahnte, wie die Reaktion ausfallen würde, doch sie musste ihnen einfach mitteilen, was
sie spürte. »Kathy ist nicht tot. Sie und Kelly stehen in Kontakt miteinander.«
»Margaret, Kelly versucht immer noch, mit Kathy zu kommunizieren, und sie fängt an, Ihnen etwas über die Dinge zu erzählen, die sie erlebt hat. Sie hatte Angst vor dieser Frau, die auf sie aufgepasst hat. Sie wollte nach Hause«, sagte Dr. Harris sanft.
»Sie hat aber mit Kathy gesprochen«, beharrte Margaret. »Das weiß ich genau.«
»Oh, Liebling«, protestierte Steve. »Bitte mach dir doch nicht noch mehr Kummer, indem du dich weiter an die Hoffnung klammerst, dass Kathy noch lebt.«
Margaret umschloss mit den Händen fest ihre Kaffeetasse, um ihre Finger zu wärmen. Dasselbe hatte sie auch an dem Abend getan, an dem die Zwillinge verschwunden waren, erinnerte sie sich. Sie spürte, dass an die Stelle der Verzweiflung der letzten Tage etwas anderes getreten war: das verzweifelte Bedürfnis, Kathy zu finden – sie zu finden, bevor es zu spät war.
Sei vorsichtig, schärfte sie sich ein. Niemand wird dir glauben. Wenn sie denken, ich würde vor Kummer den Verstand verlieren, werden sie mir Beruhigungsmittel geben wollen. Diese Schlaftablette letzte Nacht hat mich für Stunden außer Gefecht gesetzt. Das darf ich nicht mehr zulassen. Ich muss sie finden.
Kelly kam mit dem Kinderbuch zurück, aus dem sie ihr vor der Entführung vorgelesen hatten. Steve schob seinen Stuhl zurück und nahm sie auf den Arm. »Wir gehen ins Arbeitszimmer und setzen uns in den großen Sessel, einverstanden?«
»Kathy mag dieses Buch auch«, sagte Kelly.
»Gut, wir werden so tun, als ob ich euch beiden vorlese.« Steve brachte den Satz mit fester Stimme heraus, obwohl ihm Tränen in die Augen stiegen.
»Ach, Daddy, das ist doch dumm. Kathy kann dich nicht
hören. Sie schläft jetzt, und sie ist ganz allein, die Frau hat sie ans Bett gebunden.«
»Du meinst, die Frau hat dich damals ans Bett festgebunden, nicht wahr, Kelly?«, fragte Steve rasch.
»Nein. Mona hat uns in das große Kinderbett gesteckt, aus dem konnten wir nicht rausklettern. Kathy liegt jetzt in einem richtigen Bett«, widersprach Kelly. Dann berührte sie Steves Wange. »Daddy, warum weinst du?«
»Margaret, je früher Kelly wieder in ihr alltägliches Leben zurückkehrt, desto leichter wird sie sich daran gewöhnen können, dass Kathy nicht mehr da ist«, sagte Dr. Harris etwas später, als sie sich zum Gehen anschickte. »Ich glaube, Steve hat Recht. Sie in den Kindergarten zu bringen, war für sie das Beste.«
»Solange Steve sie nicht aus den Augen lässt«, sagte Margaret besorgt.
»Natürlich.« Sylvia Harris umarmte Margaret und drückte sie kurz an sich. »Ich muss ins Krankenhaus, um nach einigen meiner Patienten zu sehen, aber ich werde heute Abend zurück sein, das heißt, wenn Sie noch das Gefühl haben, dass ich Ihnen eine Hilfe bin.«
»Erinnern Sie sich noch, als Kathy eine Lungenentzündung hatte und diese junge Schwester ihr um ein Haar Penizillin gegeben hätte? Wenn Sie nicht dagewesen wären, wer weiß, was passiert wäre«, sagte Margaret. »Gehen Sie ruhig, und schauen Sie nach Ihren kranken Kindern, aber kommen Sie bitte danach zurück. Wir brauchen Sie.«
»Als wir Kathy das erste Mal Penizillin gegeben haben, wurde tatsächlich sofort klar, dass sie es nie wieder bekommen darf«, sagte Dr. Harris zustimmend. Dann fügte sie noch hinzu: »Margaret, versuchen Sie, um Kathy zu trauern, und schöpfen Sie keine Hoffnung aus dem, was Kelly sagt. Glauben Sie mir, sie durchlebt im Moment noch einmal ihre eigenen Erfahrungen während der Entführung.«
Versuch nicht, sie zu überzeugen, schärfte Margaret sich ein. Sie glaubt dir nicht. Steve glaubt dir nicht. Ich muss mit Agent Carlson reden, dachte sie. Ich muss sofort mit ihm reden.
Mit einem letzten Händedruck verabschiedete sich Sylvia Harris. Zum ersten Mal seit einer Woche war Margaret ganz allein im Haus. Sie schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Dann ging sie schnell zum Telefon und wählte Walter Carlsons Nummer.
Er antwortete nach dem ersten Klingeln. »Margaret, kann ich etwas für Sie tun?«
»Kathy lebt«, begann sie, dann sprach sie rasch weiter, bevor er etwas erwidern konnte. »Ich weiß, dass Sie mir nicht glauben werden, aber ich weiß,
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