Weil deine Augen ihn nicht sehen
ein klarer Hinweis darauf, dass Besucher von Gregg Stanford nicht als sozial gleichwertig betrachtet wurden. Die rechte Wand wurde vom Porträt einer schönen Frau in einem Abendkleid beherrscht. Sommers war sich sicher, dass es sich bei der hochmütig blickenden Dame auf dem
Bild um die gegenwärtige Gattin von Stanford, Millicent, handeln musste.
Womöglich hat er schon seine Mitarbeiter angewiesen, ihm nicht direkt in die Augen zu sehen, dachte sich Sommers. Was für ein Angeber. Und dieses Zimmer – hat er das ganz allein so eingerichtet, oder hat die Gattin ein bisschen mitgeholfen? Sie sitzt bei einigen Museen im Beirat, sie dürfte sich mit dem ganzen Krempel auskennen.
Als die beiden Agenten mit Norman Bond gesprochen hatten, hatte sich dieser aus Höflichkeit kurz von seinem Stuhl erhoben, als sie sein Büro betreten hatten. Stanford hatte nicht so viel Höflichkeit für sie übrig. Er blieb mit verschränkten Händen sitzen, bis die Agenten sich unaufgefordert auf den Stühlen vor seinem Schreibtisch niederließen.
»Haben Sie bei Ihrer Suche nach Kater Karlo irgendwelche Fortschritte erzielt?«, fragte er unvermittelt.
»Ja, das haben wir«, antwortete Angus Sommers prompt und mit Überzeugung. »Ich kann sagen, wir sind ihm auf der Spur. Mehr darf ich Ihnen allerdings nicht verraten.«
Er beobachtete, dass Stanford den Mund verzog. Ist er etwa nervös, fragte er sich. Das wäre nur gut. »Mr. Stanford, wir haben soeben einige Informationen erhalten, über die wir mit Ihnen sprechen müssen.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, was Sie mit mir zu besprechen hätten«, sagte Stanford. »Ich habe meine Haltung in der Lösegeldfrage unmissverständlich klar gemacht. Das ist meiner Meinung nach der einzige Bereich, der Sie interessieren könnte.«
»Nicht ganz«, sagte Sommers. Er machte sich ein Vergnügen daraus, die Worte in die Länge zu ziehen. »Als Sie erfahren haben, dass Lucas Wohl einer der Entführer war, muss das ein ziemlicher Schock für Sie gewesen sein.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.«
»Sie haben doch sicher die Bilder von ihm in den Zeitungen und im Fernsehen gesehen?«
»Natürlich habe ich ein Bild von ihm gesehen.«
»Dann müssen Sie ihn doch wiedererkannt haben als den ehemaligen Strafgefangenen, der einige Jahre als Fahrer für Sie gearbeitet hat.«
»Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden.«
»Das denke ich doch, Mr. Stanford. Ihre zweite Frau, Tina Olsen, war sehr aktiv für einen Wohlfahrtsverein tätig, der ehemaligen Strafgefangenen hilft, einen Job zu finden. Durch sie haben Sie Jimmy Nelson kennen gelernt, der irgendwann den Namen seines verstorbenen Cousins Lucas Wohl angenommen hat. Tina Olsen besaß schon einen langjährigen Privatchauffeur, doch Jimmy – oder Lucas, wie auch immer Sie ihn genannt haben – hat Sie während Ihrer Ehe mit ihr öfter gefahren. Gestern hat Tina Olsen Ihre erste Frau, Amy Lindcroft, angerufen und ihr erzählt, sie glaube, dass Lucas auch lange nach der Scheidung noch als Fahrer für Sie tätig gewesen ist. Ist das richtig, Mr. Stanford?«
Stanford starrte zuerst Sommers, dann Scaturro an. »Wenn es etwas Schlimmeres gibt als eine Frau, die verlassen wurde, dann sind das zwei Frauen, die verlassen wurden«, sagte er. »Während meiner Ehe mit Tina habe ich einen privaten Fahrdienst in Anspruch genommen. Ehrlich gesagt hatte ich nie das Bedürfnis, in irgendeine nähere Beziehung zu den verschiedenen Fahrern zu treten, die für diesen Fahrdienst gearbeitet haben. Wenn Sie mir jetzt erzählen, dass einer der Entführer einer dieser Fahrer war, dann nehme ich das zur Kenntnis, obwohl ich natürlich darüber schockiert bin. Der Gedanke aber, dass ich ihn auf einem Bild in der Zeitung hätte wiedererkennen sollen, ist geradezu lächerlich.«
»Dann streiten Sie also ab, ihn zu kennen?«, fragte Sommers.
»Sie könnten mir einen beliebigen Menschen nennen, der mich vor Jahren hin und wieder gefahren haben soll, und ich wäre weder in der Lage, das zu bestätigen noch es abzustreiten. Und jetzt verlassen Sie bitte mein Büro.«
»Wir werden die Geschäftsbücher durchsehen, die Lucas geführt hat. Die decken einen ziemlich großen Zeitraum ab«, sagte Sommers, während er sich erhob. »Ich glaube, er ist viel häufiger als Fahrer für Sie tätig gewesen, als Sie uns gegenüber zugeben wollen, was für mich die Frage aufwirft, was Sie vielleicht sonst noch zu verbergen haben. Wir werden herausfinden, was das ist, Mr.
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