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Weil du fehlst (German Edition)

Weil du fehlst (German Edition)

Titel: Weil du fehlst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Frey
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bei. In Afumati in Rumänien spielten Oya und ich in einem kleinen, heruntergekommenen Gartenstück, das zur einen Hälfte schmuddelige, abschüssige Rasenfläche und zur anderen Hälfte eine schmuddelige, improvisierte Autowerkstatt war. Rabea schrie mich ein paarmal an, weil ich spielte, ohne auf die Autos zu achten, die ständig kamen und gingen, ebenfalls ohne besonders auf uns zu achten. In Afumati hatte Rabea ausnahmsweise keinen Freund, jedenfalls bekamen wir Kinder nichts mit, wenn es doch einen gegeben hätte. Stattdessen gab es in diesem schmuddeligen Wahnsinnskaff ein heruntergekommenes Kinderheim, in dem Rabea durch irgendwelche weitläufigen Kontakte beim Wiederaufbau half, indem sie – was auch sonst? – die Barackenwände kindgerecht und kunterbunt bemalte. Wir wohnten während dieser Zeit bei dieser alten, müden Frau, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, das Leben der Kinder ohne Eltern in Rumänien zu verbessern, und die auf dem Grundstück neben besagter Autowerkstatt hauste.
    Das Rückwärtskarussell in meinem Kopf drehte sich weiter. Ich, ganz klein, auf einer Wiese. Sommer!!! Ich sitze auf einer Treppe, die voller kleiner, feiner Risse ist. Jemand sitzt neben mir. Oya? Unsere Knie berühren sich, und unsere Finger malen Bilder aus den Rissen. Phantasiebilder. Wir haben Spaß. An dem Haus, auf dessen Gartentreppenstufen wir sitzen, wuchert wilder Wein, oder Efeu? Nein, ich glaube doch eher Wein. Alles ist voll davon. Die oberen Fenster sind nichts als viereckige Vertiefungen im dunkelgrünen Dickicht. Zwei hohe Linden sind auch von hier aus zu sehen. Und Wind fährt durch den Wein. Und die Bäume.
    »Guck, Kassandra, die Bäume nicken«, sagt Oya und zeigt mit dem Finger auf die beiden Bäume.
    Dann ist da meine Grandma. Marjorie. Sie riecht nach Orangen, eine lange Bernsteinkette an ihrem Hals klimpert, sie hält uns an der Hand.
    »Ihr zwei«, sagt sie. »Ihr zwei Süßen.«
    Sie umarmt uns, und ich schnuppere an ihrem Hals.
    Auf Stromboli Sergio, der meiner Mutter den Rücken streichelt, als sie starr am Meer sitzt und in die Ferne schaut, als suche sie etwas. Was? Sich? Ihr Leben? Sie sieht traurig und gereizt zur gleichen Zeit aus.
    Mein eigener Rücken, der kribbelt. Was fehlt mir? Oder wer?
    Jérôme in Paris, der »Bleibt doch« auf Französisch zu Rabea sagt, wieder und wieder, aber meine Mutter schüttelt den Kopf, und in Gedanken packt sie schon wieder.
    »Ihr müsst schon wieder weiter?«, fragte auch Madame Runné bekümmert. Sie war meine letzte Klassenlehrerin in Paris. Madame Baffour war im Jahr davor gewesen. Madame Baffour, der wir ein großes Abschiedsfest gegeben hatten, als sie sich vom Schuldienst beurlauben ließ, weil sie eines Tages Zwillinge erwartete. In einer Stunde zeigte sie uns mit leuchtenden Augen ein merkwürdiges, kleines Bild.
    »Das ist eine Ultraschallaufnahme«, hatte sie erklärt. Und dann hatte sie auf die beiden kleinen, weißen Klümpchen darauf gezeigt. »Das sind sie«, sagte sie mit glücklicher Stimme. »Doppeltes Glück.«
    »Ii, die sehen ja aus wie kleine Würmer. Oder wie Nasenpopel«, flüsterte meine französische Sitznachbarin von damals, ich habe ihren Namen vergessen, mir zu. Dazu verzog sie das Gesicht. »Dass wir alle mal so angefangen haben! Irgendwie ein ekliger Gedanke …«
    Eklig? Nein, das fand ich nicht. Mich hatte dieses kleine Bild berührt, und ich lächelte Madame Baffour zu.

    Achmeds Großvater wurde wieder Kind in seinem Dorf am Bosporus und ich ging in dieser Nacht Hand in Hand mit meinem Vater Raymond Armadillo durch die sonnigen Straßen einer amerikanischen Kleinstadt.
    »Maus«, sagte mein Vater und lächelte mir zu. Meine Hand schwang in seiner, was sich schön anfühlte.
    Ich lächelte zu ihm hoch. In dieser Erinnerung an diesen Nachmittag ist er riesig und dünn und hat weiche Locken, die Schatten auf den Asphalt werfen. Er ist wie ein Baum neben mir. Er schützt mich. Aber wer war dieser Junge, der hinter uns herlief? Wir drehten uns ein paarmal zu ihm um. Mein Dad redete mit ihm. Oder redete er nur mit mir über ihn? War es ein Junge aus der Nachbarschaft? Damals wohnten wir in … Ja, wo eigentlich? Nicht mehr in Springfield, wo ich geboren worden war. Ich erinnerte mich plötzlich auch an Rabeas Eltern, Ian und Amanda. Sie waren manchmal da. Sie besuchten uns. Einmal brachten sie mir etwas Wunderbares mit: ein Cinderellakleid aus einem echten Disney-Store. Es war genau dasselbe Kleid, das Cinderella im

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