Weil du mich erloest
Maßnehmen und Abstecken des Anzugs zuschaute. Ian hob sein gestärktes, weißes Hemd, während Mr. Rappaport seinen Taillenumfang maß, und Francesca verdoppelte ihre Aufmerksamkeit. Die Hose hing locker auf seiner Hüfte und betonte dadurch den schmalen, trainierten Bauch und den schmalen Streifen dunkler Haare, der sich von seinem Bauchnabel bis unter den Bund der Hose zog.
Ian war schon mehrfach dabei gewesen, als er Damenschneider hatte kommen lassen und Kleider für sie anfertigen ließ. Sie fühlte sich bei seiner stillen, konzentrierten Beobachtung des Vorgangs immer erregt. Und noch nie hatte sie das Privileg genossen, ihn während des Maßnehmens betrachten zu können.
Sie spürte Ians Augen durch den Spiegel auf sich, während Mr. Rappaport die Schrittlänge maß.
»Sie sind Linksträger, wenn ich mich recht erinnere?«, wollte der Schneider forsch wissen.
»Korrekt«, sagte Ian und hielt Francescas Blick stand. Sie runzelte leicht die Stirn bei dieser Frage. Es dauerte ein wenig, bis ihr dämmerte, dass der Schneider wissen wollte, in welche Richtung Ians Penis in der Hose hing, damit er das entsprechende Volumen bei seinen Maßen berücksichtigen konnte. Ian hatte offenbar bemerkt, wie sich ihre Augen weiteten, als sie dies verstanden hatte, denn sie sah im Spiegel, wie sich sein Mund zu einem Lächeln verzog.
Als er fertig war und ein Assistent ihn gerufen hatte, huschte Mr. Rappaport aus dem Umkleideraum. Francesca wurde von Ians Anblick überrascht, der, nur mit einer Hose und einem halb aufgeknöpften Hemd bekleidet, auf sie zukam.
Ihr Atem stockte. Sie erkannte diesen bestimmten Glanz in seinen blauen Augen.
Er beugte sich zu ihr hinunter und nahm sie gefangen, indem er seine Hände auf ihre Arme auf den Lehnen legte. Dann schoss er herab und nahm sich ihren Mund mit einem glühend heißen Kuss, der sie schnell alles um sich herum vergessen ließ. Nur sein besitzergreifender Mund und der abhängig machende Geschmack existierten noch.
»Du wirst später dafür büßen, dass du mich in einer derart sensiblen Lage dazu gebracht hast, steif zu werden«, raunte er ihr gleich darauf zu.
»Ich habe dir doch nur zugeschaut«, verteidigte sie sich atemlos.
Er stand auf. Ohne ihn fehlte ihr völlig die Orientierung.
»Das war schon genug. Mehr als genug«, fügte er mit einem scharfen Blick hinzu und trat dann in eine Umkleidekabine. Mr. Rappaport eilte ein paar Sekunden später in den Raum, ohne ihre geröteten Wangen und ihren stockenden Atem zu bemerken.
Nachdem Ian mit dem Herrenausstatter fertig war, holten sie sich noch einen Kaffee bei dem reizenden kleinen Teeladen und gingen zurück zum Auto. Sie freute sich an Ians recht entspannter Stimmung. Grundsätzlich war Ian jemand, der nicht viel lächelte, aber es tat ihr gut zu sehen, dass sein kleines, halbes Lächeln jetzt doch immer öfter auftauchte. Tauchte er vielleicht langsam aus seiner alles durchdringenden Depression auf, die seinen Geist seit dem Tod seiner Mutter so belastet hatte? Ihr fiel auf, dass sie, bei all ihren Auseinandersetzungen über das heikle Thema Trevor Gaines, sorgfältig das traurige Kapitel über Helens unerwarteten Tod im vergangenen Sommer vermieden hatten.
Sie betrachtete ihn beim Fahren, wie er sie auf der engen Landstraße aus Stratham hinaus in Richtung Belford fuhr. Die untergehende Sonne tauchte sein Profil in einen rotgoldenen Glanz.
»Ian, wo bewahrst du eigentlich die Asche deiner Mutter auf?«, fragte sie. Sie wusste, dass Helen in einem ihrer wenigen klaren Momente darum gebeten hatte, verbrannt zu werden.
Er schaute kurz zu ihr hinüber, blaue Augen in einem sonnenbestrahlten Gesicht.
»Großmutter hat sie. Sie bewahrt sie für mich auf. Ich wollte sie nicht mit dorthin nehmen, wo ich war.«
Sie ließ die Antwort eine Weile auf sich wirken und blickte dabei auf die gefroren aussehende Straße vor ihnen, ohne wirklich etwas zu sehen.
»Es war nicht dein Fehler. Das weißt du.«
Die Stille wurde größer. Sie blickte widerstrebend zu ihm hinüber. Er starrte unbewegt durch die Frontscheibe. Ihr Hals war wie zugeschnürt. Sie konnte nur ahnen, wie schuldig er sich dafür fühlte, dass er seine Zustimmung zu einer Medikation gegeben hatte, die bei Helen möglicherweise zu dem Leberversagen und damit auch zu ihrem Tod geführt hatte.
»Du hast in den Jahren zuvor dutzende Male deine Erlaubnis für Medikamentenwechsel und neue Behandlungsmethoden erteilt. Deine Mutter war sehr krank. Sie hat nicht
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