Weil du mich siehst
dankbar, dass sie endlich wieder normales Essen bekam. Zwei Jahre lang hatte sie sich von Krankenhausfraß ernährt und in den Wochen allein in der Wohnung nur von Dosenravioli, Butterbroten und Puddings.
Finn war nicht der beste Koch, aber er kochte mit Liebe. Wie auch an diesem Abend. Die Liebe war überhaupt immer im Raum, wenn Finn und Paula beisammen waren, das musste auch Kathi zugeben. Sie entschuldigte sich bei den beiden für ihr dummes Verhalten beim letzten Mal. Sie hatten sie nur überrascht und sie hatte nicht damit umgehen können. Die Liebenden verziehen ihr nur zu gern.
Nun fragte Sandra am Telefon: »Wie heißt er denn?«
Paula lächelte und spielte das Spiel mit. »Finn. Er heißt Finn. Er ist ein bisschen jünger als ich. Und was du noch wissen solltest: Er ist stumm.«
»Oh Gott, der Arme. Aber sag mal, wenn er stumm ist, wie verständigt ihr euch dann?«
»Er schreibt mir auf den Arm.«
Betretenes Schweigen. »Er schreibt dir auf den Arm?«, wiederholte Sandra, nicht sehr überzeugt.
»Ja. Er schreibt mir die Buchstaben, einen nach dem anderen, auf den Unterarm, und ich setze sie zu Worten zusammen.«
»Und das funktioniert?«
»Sehr gut sogar. Sandra, es ist eine ganz neue Erfahrung. Man denkt immer, Worte seien von solch großer Bedeutung, aber wenn man sich auf das Wesentliche beschränkt, sind sie viel mehr. Wenn man sie nicht hört, sondern sie fühlt. Es ist unwahrscheinlich sinnlich.«
»Na gut. Wenn du das sagst. Du, Paula, wenn er dir auf den Arm schreibt, dann kennt er auch deine ...«
»Meine Narben? Die machen ihm nichts aus.«
»Weiß er, woher sie kommen?«
»Ja. Er kennt sie gut, denn er hat die gleichen.«
Sandra schwieg.
»Sandra? Ist es also okay, wenn ich ihn mitbringe? Ich würde ihn euch wirklich gern vorstellen, vor allem möchte ich, dass Damian ihn kennenlernt.«
»Glaubst du wirklich, das ist so eine gute Idee? Ist es nicht etwas zu früh?«
»Finn ist jetzt Teil meines Lebens, und ich möchte ihn mit einbeziehen. Er soll sich nicht ausgeschlossen fühlen, soll merken, wie wichtig er mir ist. Und das sollt ihr auch sehen.«
»Ja, na dann bring ihn mit. Jens holt euch am Samstag um elf ab, wenn es euch recht ist.«
»Super. Dann bis Samstag. Darf ich noch kurz mit Damian sprechen?«
Sandra reichte sie weiter an Damian. »Mama?« Sobald sie seine Stimme hörte, stießen ihr Tränen in die Augen.
»Hallo, mein Schatz. Wie geht es dir?«
»Besser. Ich hatte überall am Körper Windpocken, die haben vielleicht gejuckt.«
»Ja, ich weiß. Ich hatte als Kind auch die Windpocken.«
»Ich hab Lilly angesteckt. Ich fühl mich ganz schlecht deswegen.«
»Du kannst doch nichts dafür, Damian. Du brauchst dir keine Schuldgefühle zu machen, hörst du?«
»Okay. Wann kommst du, Mama?«
»Am Wochenende, mein Liebling. Ich komme am Samstag, nur noch dreimal schlafen.«
»Cool. Ich muss dir unbedingt was zeigen.«
»Ich dir auch.«
»Was denn?«, fragte Damian neugierig.
»Du zuerst.«
Damian holte tief Luft und erzählte ganz aufgeregt: »Wir haben in der Schule einen Drachen gebaut. Der ist der Hammer! Er ist rot und mit Blitzen. Ich zeig ihn dir, wenn du kommst, dann können wir ihn zusammen fliegen lassen und ...« Damian stockte. Wahrscheinlich war ihm gerade eingefallen, dass das ja unmöglich war.
»Alles in Ordnung, mein Schatz?«
»Ja. Ich vermisse dich.«
Paula fasste sich ans Herz. »Ich vermisse dich auch.«
»Was willst du mir zeigen?« Wie nur ein Sechsjähriger es konnte, hatte Damian die soeben empfundene Traurigkeit bereits überwunden und war ganz gespannt.
»Ich möchte dir jemanden zeigen. Ich bringe am Samstag einen Freund mit.«
»Wie alt ist er?« Damian rechnete wohl mit einem Spielkameraden.
»Er ist schon erwachsen. Aber er ist toll. Er spielt gern Basketball. Du wirst ihn bestimmt mögen. Vielleicht kannst du mit ihm zusammen den Drachen steigen lassen, und dann erzählst du mir ganz genau davon.«
»Gut, Mama. Bis Samstag.«
»Willst du schon auflegen?«
»Ja, ich will meine Serie gucken.«
Paulas Herz sackte in die Hose. Er ist noch ein kleines Kind, sagte sie sich, er meint es nicht böse.
»Gut, dann bis bald, mein Schatz. Ich hab dich lieb.«
»Ich dich auch.« Und weg war er.
Glückliche Momente
Der Samstag war gekommen. Finn
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