Weil du mich siehst
gefiel ihm, sich um jemanden zu kümmern, wichtig für jemanden zu sein, wieder mit Verantwortung betraut zu werden.
Sie führten lange Gespräche, auch wenn keiner von beiden viele Fragen stellte. Jeder sollte selbst so viel erzählen, wie er mochte. Und wenn er einen Tag lang mal überhaupt nichts erzählen wollte, war das auch in Ordnung. Sie waren verliebt, erlebten Momente des Glücks, das hieß aber nicht, dass die Vergangenheit vergessen oder der Schmerz überwunden war.
Finn wachte immer noch in der Nacht auf, weil er träumte, wie Barne ertrank und er hilflos daneben stand und ihn nicht retten konnte. Paula sah immer noch den LKW auf sich zurasen. Sie hörte die Schreie, das Weinen des Babys. Sie sah, wie sie nach hinten griff, zu Louisa, wie sie die Hand nach ihr ausstreckte, während das Auto sich überschlug.
Nie würde sie diese Momente vergessen können, sie aus ihrem Alltag verbannen können, wenn sie auch nicht mehr so allgegenwärtig waren wie noch vor einigen Wochen. Aber allein diese Unbeschwertheit, die sie Momente lang – manchmal kurze, manchmal sogar etwas längere – erleben durfte, waren ein Lichtblick am Horizont.
»Ich möchte dich etwas fragen«, sagte Paula eines Abends zu Finn.
WAS?
»Du musst nicht, wenn du nicht willst, aber … ich würde dich sehr gerne beim nächsten Treffen mit zu Damian nehmen und ihn dir vorstellen.«
WIRKLICH? Finn war mehr als gerührt. So viel bedeutete er ihr schon, dass sie ihn mit zu den wichtigsten Menschen in ihrem Leben nehmen wollte. Sie hatte zwar gesagt, dass sie nicht wusste, ob sie ihn je lieben könnte, aber das hier reichte ihm völlig. Das hier war mehr, als er zu hoffen gewagt hatte.
»Ja, Finn. Du bist jetzt ein Teil meines Lebens, meines neuen Lebens. Ich möchte, dass Sandra, Jens, ihre Kinder und vor allem Damian dich kennenlernen, dass sie wissen, wie wichtig du mir bist.«
Und was ist, wenn du mich ihnen vorstellst und es klappt nicht mit uns? , dachte Finn. Doch er sprach es nicht aus, weil er selber Angst vor der Antwort hatte.
OKAY. ICH KOMME GERNE MIT.
»Sandra hat mir gestern am Telefon gesagt, dass es Damian schon viel besser geht. Er hat nur die kleine Lilly angesteckt und wir wollen noch eine Woche warten. Aber nächsten Samstag holt Jens mich ab. Darf ich ihnen sagen, dass wir diesmal zu zweit kommen?«
Paula konnte nicht sehen, wie Finn grinste. Er fand die Vorstellung toll, mit zu Paulas Familie zu kommen. Er selbst kannte gar keine Familie mehr und freute sich auf einen Tag unter Geschwistern und Kindern. Das würde auf jeden Fall mal etwas Abwechslung bringen und Paula würde es sehr gut tun. Er hatte auch ein wenig Bammel davor, alle kennenzulernen, besonders Paulas Schwester. Sie war neben Kathi ihre engste Vertraute, und bei Kathi hatte er schon keinen guten Eindruck machen können. Er hoffte sehr, dass Sandra ihn mögen würde und natürlich hoffte er auch, dass er sich mit Damian verstand, schließlich war er der Mittelpunkt in Paulas Leben und der einzige Grund, warum sie noch immer so tapfer durchhielt.
Sie hatte ihm von dem Tag erzählt, an dem der Unfall stattfand. Nicht viel, sie wollte die Dinge nicht aussprechen, den Schmerz nicht immer wieder zurückholen. Doch er wusste inzwischen, dass sie mit ihrem Mann und ihrer neugeborenen kleinen Tochter im Auto gesessen hatte und sie mit einem Lastwagen zusammengestoßen waren. Max und Louisa hatten es nicht überlebt, worüber Paula nie hinweggekommen war. Nicht über die Tatsache, dass sie fort waren, sondern über die, dass sie noch da war.
Er wusste, hätte sie nicht Damian, der auf sie wartete, für den sie Tag für Tag alles gab, für den sie all die Überbleibsel an Kraft, die noch in ihr steckten, zusammensammelte, hätte sie längst aufgegeben. Sie hatte es anscheinend mehr als einmal versucht. Wie er selbst auch. Das Schlimmste war nicht, ohne die verlorenen Menschen zu leben, das Schlimmste war, mit der Schuld zu leben.
♥
Paula hatte Sandra bei ihrem nächsten Telefonat gesagt, dass sie zum nächsten Treffen jemanden mitbringen würde. Sandra tat erstaunt, doch Paula konnte heraushören, dass Kathi sie bereits eingeweiht hatte, was Finn betraf. Kathi war eines Abends vorbeigekommen und hatte sich nicht abwimmeln lassen, woraufhin Finn sie per Stift und Papier zum Abendessen eingeladen hatte.
Er hatte Omeletts gemacht, dazu gab es einen Salat und frisches Baguette. Paula war
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