Weil du mich siehst
entweder belog oder ihm eine unglaubliche Wahrheit sagte.
»Im Schlaf. Du hast im Schlaf geredet. Hast immer wieder NEIN gerufen und meinen Namen.«
Konnte das wirklich sein? Sein Vater hatte ihm auch so etwas erzählt, dass er ihn im Schlaf sprechen gehört hätte. Er hatte ihm nicht geglaubt, ihm nicht glauben wollen. Er konnte doch nicht mehr sprechen, hatte seine Stimme verloren. Oder wollte er das nur denken? Hatten die Ärzte vielleicht doch recht damit, dass es allein an ihm lag, seine Stimme wiederzufinden?
»Komm zurück ins Bett, Finn, bitte.« Paula streckte eine Hand nach ihm aus.
Langsam ging er zurück zu ihr und versuchte es noch einmal: ICH HABE GETRÄUMT, DU WÜRDEST UNTERGEHEN. ICH HABE MEINE HAND NACH DIR AUSGESTRECKT, DOCH ICH KONNTE DICH NICHT RETTEN.
»Ach, Finn, das war nur ein böser Traum. Ich bin ja hier, alles ist gut. Ich verlasse dich nicht.«
VERSPRICHST DU ES MIR?
Konnte sie das? Konnte sie es ihm versprechen? Sie wollte es so sehr, wollte ihn so gern beruhigen, ihm seine Ängste nehmen. Und deshalb log sie. »Ich verspreche es.«
Finn klammerte sich an sie wie an einen Korken, der auf dem Wasser schwamm. Er wollte nicht untergehen. Er hatte genug durchgestanden, endlich wollte er seine Ängste vergessen, wenn auch nur für diesen einen Moment.
♥
Als Paula am nächsten Morgen aufwachte, lag Finn schon wach. Er hatte nicht mehr einschlafen können nach dem Traum. Er hatte hin und her überlegt, ob es wirklich wahr sein könnte, dass er noch fähig war zu sprechen. Dass es noch in ihm war. Nur wie könnte er es wieder erlernen? Er wollte es so gerne schaffen – für Paula. Alles wäre so viel einfacher und schöner, wenn sie sich wie zwei ganz normale Menschen die Dinge erzählen könnten, die ihnen auf den Herzen lagen.
»Hey, du bist ja schon wach.«
GUTEN MORGEN, MEIN SCHATZ.
»Guten Morgen.« Paula lächelte. »Was hast du heute mit mir vor?«
Finn grinste sie an. ICH HABE DA SO EINE IDEE.
Sie zogen sich an und frühstückten, dann sagte Finn: KANNST DU HIER AUF MICH WARTEN? ICH MUSS KURZ ETWAS HOLEN GEHEN. ICH BRAUCHE HÖCHSTENS EINE STUNDE.
Was hat er nur vor , fragte sich Paula, war aber gern gewillt, auf ihn zu warten und sich danach auf das einzulassen, was auch immer Finn für diesen Sonntag geplant hatte. Sie vertraute ihm voll und ganz, er würde nichts tun, das sie nicht wollte. Er wollte immer nur ihr Bestes.
Er kam in weniger als einer Stunde zurück. Paula hatte ihm inzwischen den zweiten Ersatzschlüssel gegeben. Nun stand er vor ihr und drückte ihr etwas in die Hände.
»Was ist das? Ein Ball?« Wollte Finn etwa mit ihr Ball spielen?
GENAU.
»Und?«
WIR GEHEN JETZT AUF DEN BASKETBALLPLATZ.
»Aber wie soll ich denn Basketball spielen, wenn ich den Korb doch überhaupt nicht sehen kann?«, fragte Paula.
ICH WERDE DICH LEITEN.
Eine halbe Stunde später waren sie auf dem Basketballplatz, auf dem an einem Sonntagmorgen gähnende Leere herrschte. Finn machte ein paar Körbe und gab dann Paula den Ball in die Hände, positionierte sie in die richtige Stellung und erklärte ihr, wo genau der Korb war. Dann ließ er sie werfen.
Es brauchte achtzehn Versuche, bis sie das erste Mal traf. Aber es war lustig, nicht deprimierend. Finn machte, dass sie sich amüsierte statt sich zu ärgern. Finn konnte immer machen, dass sie sich gut fühlte.
Paula umarmte ihn. So standen sie da auf dem Basketballplatz, zwei Menschen, die fast schon aufgegeben hatten, doch die endlich wieder anfingen, das Leben zu leben.
»Finn, ich möchte dir danken. Du bist einfach fantastisch. Wie hast du nur zu mir gefunden?«
ES IST SCHICKSAL.
»Das glaube ich auch. Du bedeutest mir so viel, Finn, ich möchte nie wieder ohne dich sein.«
Er bedeute ihr viel, hatte sie gesagt. Jedes Mal, wenn sie so etwas sagte, versetzte es ihm einen Stich in seinem Herzen. Weil er sie inzwischen von ganzem Herzen liebte und weil er sich so wünschte, sie würde dasselbe empfinden. Doch er würde sie nicht bedrängen. Für sie war es etwas anderes. Sie hatte schon einmal geliebt und sie hatte ihre große Liebe verloren. Er wusste auch nicht, ob er je wieder lieben könnte, sollte er Paula verlieren. An so etwas wollte er gar nicht denken, allein der Gedanke bereitete ihm körperliche Schmerzen. Er hielt Paula ganz fest und hoffte einfach, dass sie es vielleicht eines Tages doch
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