Weil du mich siehst
noch sagen würde.
♥
Sie saßen am Frühstückstisch und aßen die frischen Brötchen, die Finn vom Bäcker geholt hatte. Es war ein Mittwoch Ende Oktober. Finn strahlte schon die ganze Zeit vor sich hin. Er war glückselig. Zum ersten Mal war er an seinem Geburtstag nicht allein.
»Erzähl mir etwas«, sagte Paula.
ICH HABE HEUTE GEBURTSTAG.
Paula legte ihre Marmeladenbrötchenhälfte auf den Teller und blickte in seine Richtung. »Warum hast du mir nichts gesagt? Ich hätte dir ein Geschenk besorgt.«
DU BIST DAS BESTE GESCHENK, DAS ICH MIR WÜNSCHEN KÖNNTE.
»Du bist süß. Wow, du hast Geburtstag. Jetzt bist du einundzwanzig.« Manchmal dachte sie schon über die beinahe sechs Jahre Altersunterschied zwischen ihnen nach, die meiste Zeit aber war er ihr völlig gleichgültig.
JA. ICH DARF JETZT ALKOHOL IN DEN USA KAUFEN, FALLS ICH JEMALS DAHIN KOMME.
Keiner von ihnen erwähnte, dass er es wahrscheinlich niemals schaffen würde, mal davon abgesehen trank er keinen Alkohol. Er hatte wahnsinnige Angst davor, die Kontrolle zu verlieren. Er hatte es nie jemandem gesagt, aber damals an dem Tag, an dem Barne ertrank, hatte er ein Bier mit seinen Freunden getrunken. Das war nur einer der Gründe, warum er sich selbst die Schuld für alles gab.
»Vielleicht werden wir beide eines Tages nach New York fliegen. Oder nach Las Vegas. Dann spielen wir in einem dieser Casinos und gewinnen ein paar Millionen, von denen wir mir eine superteure Augenoperation bezahlen und dir so einen Computer kaufen, der alles nachspricht, was du eingibst. Dann könnten wir uns fast richtig unterhalten.«
Finn dachte nur, dass er, wenn sie es jemals nach Las Vegas schaffen würden, viel lieber dort heiraten würde. Er und Paula in einer dieser Kapellen, in denen Elvis Presley einen traut. Das würde ihm viel mehr bedeuten als ein paar Millionen, und auch mehr, als seine Stimme wiederzubekommen.
Sie aßen weiter. Paula überlegte. »Also, wünsch dir was. Da ich nichts für dich habe und deswegen ein ganz schlechtes Gewissen hab, darfst du dir wünschen, was du willst.«
Da wusste Finn was, ohne weiter nachdenken zu müssen. ICH WAR SCHON LANGE NICHT MEHR IM KINO.
»Okay. Ich kann da zwar nichts sehen, aber wenigstens hören. Ist fast so wie ein Hörbuch.«
IST DAS GLEICHE WIE FERNSEHEN, NUR AUF DER GROSSEN LEINWAND. AUSSERDEM GIBT ES LECKERES POPCORN. UND IM DUNKELN KANN MAN SO SCHÖN KNUTSCHEN.
Paula lachte. »Ah, darauf bist du also aus. Und weißt du was? Nach dem Kino werden wir zu Hause noch viel mehr knutschen.«
ICH NEHME DICH BEIM WORT.
Am Nachmittag machten sie sich auf ins Kino. Sie nahmen ein Taxi in die Stadt, Paula traute sich die Fahrt mit Bus und Bahn noch nicht zu.
Der Mann an der Kasse guckte verdutzt, als die blinde Frau zwei Karten orderte. Verwirrt sah er ihren Begleiter an, der nur die Achseln zuckte und grinste.
»Haben Sie einen Behindertenausweis dabei?«, fragte er.
»Heute sind wir nicht behindert«, sagte Paula. »Wir feiern den Geburtstag meines Freundes.«
»Oh, ich gratuliere«, sagte er an Finn gewandt.
»Er kann Ihnen nicht antworten, er ist stumm. Aber vielen Dank.«
Der Mann gab ihnen die Tickets und starrte sie nur sprachlos an. Finn nahm Paulas Hand und lachend gingen sie davon.
DU HÄTTEST SEIN GESICHT SEHEN SOLLEN, schrieb Finn auf Paulas Arm, sobald sie im Kinosaal saßen.
Sie konnten sich beide noch immer nicht einkriegen vor Lachen. Solch eine Situation erlebte der arme Verkäufer sicher auch nicht allzu oft.
»Jetzt hat er wenigstens eine Geschichte zu erzählen.«
ICH WÜRDE GERN DER GANZEN WELT UNSERE GESCHICHTE ERZÄHLEN.
Dann fang doch endlich an zu sprechen, damit du das auch tun kannst, dachte Paula, sagte es jedoch nicht laut.
Der Film fing an, eine romantische Komödie. Paula und Finn lachten und genossen die gemeinsame Unbeschwertheit. Auch wenn Paula die witzigen Szenen nicht sehen konnte, auch wenn Finn keine Kommentare abgeben konnte, so war dieser Nachmittag doch eine ganz besondere Erfahrung für sie beide.
Zum ersten Mal seit Jahren waren sie wieder richtig unter Menschen, auch wenn es nur im Dunkeln war.
Aber es war noch mehr, es war ein Schritt in eine bessere Zukunft.
Die letzten Wochen waren sie wie kleine Babys nebeneinanderher gekrabbelt, hatten sich immer ein kleines Stückchen weiter in die Normalität gerobbt, und heute waren
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