Weil Ich Euch Liebte
verstehen konnte, was sie sagte.
» Ich krieg das Geld und … etwas anderes zurück … Geschäft ist Geschäft. Für neue Angebote bin ich immer offen.« In der Lücke zwischen »zurück« und »Geschäft«, sagte sie etwas ganz Kurzes. Ich spielte die Stelle noch mal ab. Ein Wort, dachte ich. Ein Wort, dass mit »m« begann.
»Mo«, sagte ich laut. »Mo.«
»Ich bekomm das Geld und … etwas zurück mo … Geschäft ist Geschäft. Für neue Angebote bin ich immer offen.«
Wiederholung.
Und noch einmal.
Die Lautstärke war jetzt auf Maximum, ich hielt ein Ohr ganz nahe an den Bildschirm und schloss die Augen. Bildete mir ein, nach dem »m« irgendwas Kehliges zu hören, und am Schluss möglicherweise ein »s«.
Konnte das sein?
Ich öffnete die Augen und ging mit der Aufnahme noch einmal zwei Sekunden zurück. Ich dachte, ich hätte das Wort jetzt gehört, aber in diesem Zusammenhang ergab es für mich keinen Sinn.
Also spielte ich es wieder, sah aufmerksam auf den Bildschirm, bewegte meinen Mund wie Ann, beobachtete ihre Lippen ganz genau, um zu sehen, ob es möglich war, dass sie das sagten, was ich glaubte, dass sie sagten.
»Ich krieg das Geld und du bekommst etwas anderes zurück, Marcus. Geschäft ist Geschäft. Für neue Angebote bin ich immer offen.«
Heilige Scheiße.
Ich musste sofort zu Kelly.
Sechsundfünfzig
»Macht’s dir bestimmt nichts aus, wenn ich kurz weggehe?«, fragte Fiona ihre Enkelin. Sie saß mit ihr auf dem Sofa und tat ihr Bestes, das Kind zu beruhigen. Auf dem Couchtisch stand ein Glas Weißwein, aus dem sie immer wieder nippte.
»Nein«, sagte Kelly.
»Ich weiß, wie schrecklich das für dich ist, was du da gerade erfahren hast. Furchtbar, das mit Emilys Vater.«
»Mir geht’s gut.«
»Es ist nur so, dass wir kaum mehr etwas im Haus haben, und dein Vater sagt, er holt dich erst heute Abend ab. Wir brauchen also etwas zum Abendessen. Denn wir lassen uns ganz bestimmt keine Pizza bringen oder so etwas.«
Dann stellte sie ihr Glas mit einer schwungvollen Geste auf den Tisch und stand auf.
»Wir werden uns prächtig amüsieren«, sagte Marcus und rubbelte Kelly über den Kopf. »Nicht wahr, Spätzchen?«
Kelly blickte zu ihm auf und lächelte. »Bestimmt. Was möchtest du denn tun?«
»Wir könnten uns zum Beispiel einen Film ansehen«, sagte Marcus.
»Auf einen Film habe ich eigentlich keine Lust.«
»Euch wird schon was einfallen«, meinte Fiona.
»Gehen wir doch spazieren«, schlug Marcus vor.
»Wenn du meinst«, sagte Kelly lustlos.
Fiona nahm ihre Handtasche und holte die Autoschlüssel heraus. »Es dauert nicht lang«, sagte sie. »Eine Stunde vielleicht.«
»Alles klar«, sagte Marcus.
Kaum hatte Fiona die Wohnung verlassen, bemerkte Kelly, dass die ihr Handy vergessen hatte. Es lag auf dem Tisch in der Diele und hing am Ladegerät.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Marcus. »Sie ist ja bald wieder da.« Er forderte Kelly auf, sich mit ihm auf die hintere Terrasse zu setzen. Von da konnte man über den gepflegten Garten bis zum Long Island Sound sehen.
»Dann fährst du heute also heim«, sagte er.
»Sieht so aus.« Kelly saß auf einem der Korbstühle und schlenkerte mit den Beinen.
»Ich glaube, das ist das erste Mal, dass wir zwei Gelegenheit haben, uns allein zu unterhalten, seit du da bist.«
»Kann sein.«
»Deine Großmutter hat mir alles erzählt. Klingt, als ob sich zu Hause wieder alles beruhigt hätte. Alles, weswegen dein Vater sich Sorgen gemacht hat, hat sich erledigt. Das ist doch prima, oder?«
Kelly nickte. Am liebsten wäre sie schon jetzt abgeholt worden. Sie würde lieber mit ihrem Vater zu Abend essen. Grandma und Marcus hin und wieder zu besuchen war in Ordnung, aber bei ihnen zu leben war ganz schön langweilig. Fiona las die ganze Zeit Bücher oder Hochglanzmagazine über die Häuser berühmter Leute, und Marcus sah fern. Daran wäre ja nichts auszusetzen gewesen, wenn es etwas Interessantes gewesen wäre, aber es waren immer nur Nachrichtensendungen. Kelly war sich ganz sicher, dass sie hier nicht leben und zur Schule gehen und die ganze Woche von ihrem Dad getrennt sein wollte. Grandma und Marcus waren, tja, sie waren alt. Auch ihr Dad war alt, aber nicht so alt. Fiona machte manchmal etwas mit ihr, aber dann sagte sie, Kelly solle sich allein beschäftigen, aber leise. Und wie Marcus die ganze Zeit lächelte – das ging ihr am allermeisten auf die Nerven. Es war dieses Lächeln von alten Leuten, an dem überhaupt nichts
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