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Weil Ich Euch Liebte

Weil Ich Euch Liebte

Titel: Weil Ich Euch Liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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einverstanden?«
    »Einverstanden«, sagte sie und löschte ihr Licht.
    Jetzt saß ich an meinem Schreibtisch und versuchte, mir einen Reim auf das Ganze zu machen.
    Das erste Gespräch schien mir harmlos. Anscheinend hatte Ann sich nach dem Zustand von jemandem erkundigt, der sich verletzt hatte. Aber der zweite Anruf klang rätselhaft. Wenn es nur irgendeine Nervensäge war, die etwas verkaufen wollte, war Ann vielleicht sauer, dass sie das erste Gespräch hatte abbrechen müssen, um diesen Anruf zu beantworten. Das konnte ich gut verstehen. Vielleicht hatte sie deshalb dem Anrufer gedroht, ihm eine Kugel zu verpassen.
    Ständig sprachen Menschen irgendwelche Drohungen aus, die sie nicht ernst meinten. Wie oft hatte ich das denn schon getan? In meiner Branche so gut wie täglich. Ich wollte unsere Lieferanten umbringen, weil sie nicht rechtzeitig lieferten. Und die Typen vom Holzplatz wollte ich umlegen, weil sie uns verzogene Bretter geschickt hatten. Erst unlängst hatte ich zu Ken Wang gesagt, dass ich ihm den Kopf abreiße, weil er einen Nagel in ein Wasserrohr gehämmert hatte, das direkt hinter einer Gipsplatte verlief.
    Nur weil Ann Slocum sagte, sie würde jemandem am liebsten eine Kugel in den Kopf jagen, hieß das noch lange nicht, dass sie es auch wirklich vorhatte. Aber möglicherweise war sie nicht begeistert, dass ein Kind mitbekommen hatte, wie sie die Fassung verlor. Und wollte nicht, dass ihre Tochter erfuhr, dass sie am Telefon so mit jemandem geredet hatte.
    Aber hatte sie wirklich etwas gesagt, das ihr Ehemann nicht erfahren sollte?
    Eigentlich ging es mir nur um Kelly. Dass Ann Slocum ärgerlich war, weil Kelly sich in ihrem Schrank versteckt hatte, damit konnte ich leben. Aber so in Rage zu geraten, dass sie Kelly sagte, sie würde Emily als Freundin verlieren, ihr zu verbieten, das Zimmer zu verlassen, und dann auch noch das Telefon mitzunehmen, damit sie nicht anrufen konnte – was sollte der Scheiß?
    Wieder nahm ich den Hörer in die Hand und wollte wählen.
    Wieder legte ich auf.
    Und was sollte der ganze Zirkus an der Tür, als ich Kelly abholte? Offensichtlich wusste Ann nicht, dass meine Tochter ein Handy hatte. Angenommen, Kelly hätte mich nicht angerufen, damit ich sie abhole, was hätte Ann als Nächstes getan?
    Ich legte mir schon zurecht, was ich Ann sagen würde, wenn sie ans Telefon ging.
    »Unterstehen Sie sich ja nicht, meine Tochter noch einmal so herunterzuputzen.«
    Irgendwas in der Art.
    Sollte ich tatsächlich anrufen.
    Mein Glaube an Sheilas gesunden Menschenverstand hatte zwar in den letzten Wochen erheblich gelitten, trotzdem fragte ich mich, wie sie mit dieser Situation umgegangen wäre. Immerhin waren sie und Ann Freundinnen gewesen. Anders als ich, hatte Sheila anscheinend immer genau gewusst, was in einer prekären Lage zu tun, wie eine zwischenmenschliche Zeitbombe zu entschärfen war. Und am besten hatte sie dieses Talent bei mir einzusetzen gewusst. Einmal, als ein Typ in einem Riesengeländewagen mich auf dem Merritt Parkway geschnitten hatte, raste ich ihm hinterher in der Hoffnung, ihn einzuholen, um ihm den Finger zeigen zu können.
    »Schau in den Rückspiegel«, sagte Sheila leise, als ich aufs Gas trat.
    »Er ist vor mir, nicht hinter mir«, sagte ich.
    »Schau in den Rückspiegel«, wiederholte sie.
    Ich dachte, Scheiße, hinter mir ist die Polizei. Doch als ich in den Spiegel schaute, war es Kelly, die ich da in ihrem Kindersitz sah.
    »Wenn dir an der Beleidigung von diesem Typ mehr liegt als an der Sicherheit deiner Tochter, dann nur zu«, sagte sie.
    Ich nahm den Fuß vom Gas.
    Was für eine weise Bemerkung von einer Frau, die eine Ausfahrt in der falschen Richtung befahren und damit sich selbst und noch zwei Menschen umgebracht hatte. Die Erinnerung an diesen Vorfall deckte sich mit dem Bild der ruhigen, besonnenen Frau, das ich von Sheila hatte. Ich konnte mir vorstellen, was sie in dieser Situation von meiner Absicht halten würde.
    Angenommen, ich bekäme Ann Slocum ans Telefon und geigte ihr so richtig die Meinung? Für mich wäre das vielleicht eine Genugtuung. Aber was würde es für Kelly bedeuten? Würde Emilys Mutter ihre Tochter gegen Kelly aufhetzen? Würde es dazu führen, dass Emily die Seiten wechselte und zu den Kindern überlief, die Kelly »Säuferkind!« hinterherriefen?
    Ich trank aus und überlegte hin und her, ob ich nach oben gehen und mir Nachschub holen sollte. Während ich da saß und spürte, wie die Wärme meinen Körper

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