Weil Ich Euch Liebte
Meinung gewesen, ihre Tochter hätte etwas Besseres verdient. Nicht, dass sie das je so gesagt hätte, wenigstens nicht zu mir, aber ich war mir immer bewusst, dass Sheila, wenn es nach Fiona gegangen wäre, jemanden wie deren eigenen – ersten – Mann hätte heiraten sollen. Jemanden wie den verstorbenen Ronald Albert Gallant, bekannter und erfolgreicher Anwalt, angesehenes Mitglied der Gemeinde. Sheilas Vater.
Als er starb, war Sheila erst elf, doch sein Einfluss war nachhaltig. Er war der Maßstab, an dem alle potenziellen Bewerber um die Hand von Fionas Tochter gemessen wurden. Als sie noch keine zwanzig und es höchst unwahrscheinlich war, dass einer der Jungen, mit denen sie ausging, der Partner fürs Leben werden würde, musste sich Sheila intensiven Verhören durch ihre Mutter unterziehen lassen. Was machten seine Eltern? Welchen Clubs gehörte er an? Wie gut war er in der Schule? Wie viele Punkte hatte er beim Zulassungstest fürs Studium erzielt? Was wollte er im Leben erreichen?
Sheila hatte zwar nur elf Jahre lang einen Vater gehabt, trotzdem gab es für sie eine bleibende Erinnerung an ihn: Sie erinnerte sich, dass es da nicht viel zu erinnern gab. Er war selten zu Hause gewesen. Sein Leben hatte seiner Arbeit gehört, nicht seiner Familie. Wenn er da gewesen war, war er geistig abwesend und unnahbar.
Sheila war sich nicht so sicher, dass das die Art Mann war, die sie sich als Ehemann wünschte. Natürlich liebte sie ihren Vater und war am Boden zerstört, ihn so früh zu verlieren. Aber die Lücke, die er in ihrem Leben hinterließ, war nicht so groß, wie sie vielleicht erwartet hatte.
Nach dem Tod ihres Mannes – Herzinfarkt mit vierzig – mussten für Fiona sämtliche mütterlichen Gefühle – sofern überhaupt vorhanden – zurückstehen hinter der großen Aufgabe, den Haushalt allein zu führen. Robert Albert Gallant hatte seine Frau und seine Tochter wohlversorgt zurückgelassen, doch Fiona hatte sich nie mit den häuslichen Finanzen beschäftigt und brauchte geraume Zeit, um sich, mit Hilfe zahlreicher Anwälte, Steuerberater und Bankfachleute, einen Überblick zu verschaffen. Sobald sie jedoch Blut geleckt hatte, widmete sie sich voll und ganz der Überwachung ihrer geschäftlichen Angelegenheiten. Sie investierte klug und prüfte eingehend ihre Quartalsabrechnungen.
Trotzdem fand sie noch Zeit, das Leben ihrer Tochter zu managen.
Fiona hatte ihre Kleine nach Yale geschickt, damit sie Anwältin oder Topmanagerin wurde und sich mit ein bisschen Glück in einen mächtigen Staatsanwalt in spe verliebte. Nur zähneknirschend fand sie sich damit ab, dass ihre Tochter den Mann ihrer Träume nicht im Hörsaal kennengelernt hatte, bei der Erörterung der Feinheiten des Schadenersatzrechts, sondern in den Gängen der ehrwürdigen, efeuberankten Hallen, wo er, als Mitarbeiter in der Firma seines Vaters, neue Fenster einbaute. Vielleicht hätte Sheila, wenn sie mich nicht getroffen hätte, ihren Abschluss in Yale gemacht, aber da bin ich mir nicht so sicher. Sheila interessierte sich für das, was in der Welt passierte, sie wollte etwas Praktisches tun und nicht in Hörsälen herumsitzen und endlose Vorträge über Dinge anhören, die ihr am Allerwertesten vorbeigingen.
Der Witz an der Sache war, dass von uns beiden ich derjenige mit dem Studienabschluss war. Meine Eltern hatten mich nach Norden geschickt, ans Bates College in Lewiston, Maine, wo ich, aus mir heute unbegreiflichen Gründen, Englisch studierte. Es war auch nicht gerade der Abschluss, der potenzielle Arbeitgeber so vom Hocker reißt, dass sie nach einer Bewerbung lechzen. Als ich mein Diplom in Händen hielt, fiel mir rein gar nichts ein, was ich mit diesem Wisch anfangen sollte. Lehrer wollte ich nicht werden. Und obwohl ich gerne schrieb, ging ich nicht mit dem Großen Amerikanischen Roman schwanger. Ich war mir noch nicht mal sicher, ob ich noch einen lesen wollte, zumindest in nächster Zukunft. Whitman und Hemingway und Melville standen mir bis oben hin.
Dieser vergammelte Wal. Ich hab die Schwarte nie zu Ende gelesen.
Aber trotz dieses Wischs gehörte ich zu einer Klasse von Menschen, die für Fiona schlicht unsichtbar war. Ich war eine Ameise, eine Arbeitsbiene, einer von Millionen ohne Gesicht, die die Welt am Laufen hielten, weshalb man sich glücklicherweise nicht groß mit ihnen abgeben musste. Sicherlich war Fiona froh, dass es Leute gab, die Häuser bauten und renovierten. So, wie sie froh war, dass andere den
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