Weil Ich Euch Liebte
überrascht, als Fiona auf einmal einen Freund hatte. Marcus Kingston.
Seine erste Frau lebte noch irgendwo in Kalifornien, aber seine zweite war vor acht Jahren ums Leben gekommen, als so ein Rowdy in einem aufgemotzten Civic eine rote Ampel ignoriert hatte und ihr seitlich in ihren Lincoln gekracht war. Marcus war Importeur für Kleidung und sonstige Waren gewesen, hatte aber sein Geschäft gerade aufgegeben, als Fiona ihn bei einer Galerieeröffnung in Darien kennenlernte. Sein Beruf hatte ihn auf Tuchfühlung mit den Reichen und Einflussreichen gebracht, also genau den Leuten, mit denen Fiona so gerne verkehrte.
Als sie vor vier Jahren zu heiraten beschlossen, verkaufte Marcus sein Haus in Norwalk und Fiona ihres in Darien. Zusammen erstanden sie eine teure Eigentumswohnung mit Blick auf den Long Island Sound.
Sheilas Theorie war, dass Fiona eines Morgens mit dem Gedanken aufgewacht war: Will ich wirklich den Rest meines Lebens alleine verbringen? Ich musste zugeben, dass mir nie in den Sinn gekommen wäre, Fiona könne auch emotionale Bedürfnisse haben. Sie zeigte eine so unterkühlte und unabhängige Fassade, dass man es niemandem verübeln konnte, wenn er dachte, sie sei auf die Gesellschaft anderer nicht angewiesen. Doch unter dieser stahlharten Oberfläche verbarg sich ein sehr einsamer Mensch.
Marcus tauchte gerade zur rechten Zeit auf.
Mehr als einmal hatten Sheila und ich uns gefragt, ob Marcus’ Beweggründe vielleicht etwas komplexer waren als Fionas. Auch er hatte lange allein gelebt, und es war durchaus plausibel, dass er sich ebenso danach sehnte, mit jemandem an seiner Seite aufzuwachen. Allerdings wussten wir auch, dass Marcus sein Unternehmen nicht für den erhofften Preis hatte verkaufen können und dass ein beträchtlicher Teil seines Einkommens noch immer an seine erste Frau in Sacramento ging. Fiona, die jahrelang so vorsichtig – ich wäre geneigt zu sagen: knausrig – mit ihrem Geld umgegangen war, machte es nun offensichtlich nichts aus, es für Marcus auszugeben. Die größte Nachsicht zeigte sie möglicherweise bei dem Segelboot, das er im Hafen von Darien ankern hatte.
Marcus betätigte sich gelegentlich als Berater für Importeure, die seine Erfahrung und seine Beziehungen zu schätzen wussten. Zwei-, dreimal die Woche ging er abends mit diesen Leuten essen und prahlte gerne, die Geschäftswelt gönne ihm einfach seinen Ruhestand nicht. Sheila und ich waren uns einig, dass er manchmal ein ziemlicher Angeber, offen gesagt, ein Arschloch sein konnte. Aber allem Anschein nach liebte Fiona ihn, und insgesamt wirkte sie mit ihm glücklicher als vorher ohne ihn.
Sie kamen oft zu uns, damit Fiona ihre Enkelin sehen konnte. Für mich mochte es jede Menge Gründe geben, Fiona nicht zu mögen, aber eines musste man ihr lassen: Sie liebte Kelly abgöttisch. Sie ging mit ihr einkaufen, ins Kino, nahm sie mit nach Manhattan in Museen und zu Broadway-Aufführungen. Hin und wieder ließ sie sich auch zu Toys R Us am Times Square verschleppen.
»Wo war diese Frau, als ich ein Kind war?«, hatte Sheila mich mehr als einmal gefragt.
In dieser Zeit hielten Fiona und ich eine Art Waffenstillstand. Sie konnte mich nicht leiden, und ich kam gut ohne sie aus, aber wir blieben höflich. Es herrschte kein offener Krieg.
Das änderte sich ziemlich rasch nach Sheilas Unfall.
Jetzt gab es kein Halten mehr. Sie gab mir die Schuld. Wenn ich gewusst hatte, dass Sheila alkoholgefährdet war, warum hatte ich nichts dagegen unternommen? Warum hatte ich nicht mit ihr, Fiona, darüber gesprochen? Warum hatte ich Sheila nicht gezwungen, eine Therapie zu machen? Was hatte ich mir dabei gedacht, sie durch halb Connecticut fahren zu lassen, wenn ich doch damit rechnen musste, dass sie nicht ganz nüchtern war?
Und wie oft war sie in diesem Zustand mit Kelly – ihrer Enkelin, Herrgott noch mal – herumgefahren?
»Du hast nichts davon gewusst?«, fragte Fiona mich bei der Beerdigung. »Wie gibt es das? Wie, zum Teufel, konntest du die Anzeichen übersehen?«
»Es gab keine Anzeichen«, sagte ich. »Keine richtigen.«
»Ja, das würde ich an deiner Stelle auch sagen«, keifte sie. »Daran musst du ja auch glauben. Dann bist du nämlich aus dem Schneider. Aber glaub mir, es muss Anzeichen gegeben haben. Du warst nur zu sehr mit deinen eigenen Blähungen beschäftigt, um es zu bemerken.«
»Fiona«, sagte Marcus und wollte sie wegziehen.
»Glaubst du vielleicht, sie hat sich eines Abends gesagt: Hey, ich
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