Weil Ich Euch Liebte
starrt nur vor sich hin.«
»Sie sollten mit ihr zum Arzt gehen. Vielleicht hat er eine Idee, wer ihr helfen könnte.«
»Ja, vielleicht. Ich lasse sie diese Woche nicht in die Schule gehen, sie bleibt zu Hause. Anns Schwester kommt oft rüber und löst mich ab. Die öffentliche Gedenkzeremonie hatten wir ja schon – danke fürs Kommen übrigens –, und heute machen wir nur etwas Kleines, im Familienrahmen.«
»Ich muss Ihnen noch ein paar Fragen zu dem Unfall stellen, Darren.«
»In Ordnung«, sagte er. »Milch, Zucker?«
»Schwarz«, sagte sie und nahm ihm den Becher ab. »Haben Sie noch mal darüber nachgedacht, warum Ann so spät am Abend zum Hafen gefahren ist? Allein?«
Slocum zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Manchmal, wenn sie nicht schlafen kann – nicht schlafen konnte –, ging sie nachts spazieren oder fuhr durch die Gegend. Vielleicht dachte sie, sie könnte sich entspannen, wenn sie da unten sitzt und aufs Wasser hinausschaut.«
»Aber sie wollte sich doch mit ihrer Freundin Belinda Morton treffen.«
»Stimmt. Aber dazu ist es ja nicht mehr gekommen.«
»Warum ist sie denn zuerst zum Hafen gefahren?«
»Wie gesagt, vielleicht brauchte sie erst mal einen klaren Kopf.«
Slocum goss sich Milch in den Kaffee und sah zu, wie er von Schwarz zu Hellbraun wechselte.
»Halten Sie es für möglich«, fragte Wedmore, »dass sie sich vor Belinda noch mit jemand anderem treffen wollte?«
»Mit wem zum Beispiel?«
»Das frage ich Sie.«
»Was ist los, Rona? Gibt es da was, das ich wissen sollte? Ist an Anns Unfall irgendwas faul?«
»Also gut, ich sage Ihnen, was ich festgestellt habe«, begann sie. »Ich war zweimal unten am Hafen. Und ich habe die Ermittlungsberichte gelesen.«
Slocum sah sie fragend an, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt. »Und?«
»Und ich muss Ihnen sagen, Darren, für mich passt das nicht zusammen.«
Er trank einen Schluck Kaffee. »Was meinen Sie damit?«
»Anfangs sah es so aus, als habe Ann bemerkt, dass sie einen Platten hat. Sie steigt aus, um nachzusehen, lässt die Tür offen und den Motor laufen, geht hinten herum auf die Beifahrerseite, schaut nach, verliert aus irgendeinem Grund das Gleichgewicht, schlägt sich vielleicht den Kopf an der Pierkante an und fällt ins Wasser.« Sie sah ihm aufmerksam ins Gesicht. »Sind Sie schon so weit, sich das anzuhören?«
Sein Kopf hob und senkte sich langsam. »Natürlich.«
»Ich bin also selbst da hinuntergefahren und habe an derselben Stelle geparkt. Und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie es zugegangen sein soll. Sie hatte doch nichts getrunken.«
»Stimmt.«
»Als ich da unten stand, habe ich nämlich so getan, als würde ich stolpern.« Sie führte es ihm kurz vor, tat, als stolpere sie über ihre eigenen Füße. »Es ist gar nicht so schwer, sich wieder zu fangen, irgendwo festzuhalten, damit man nicht ins Wasser fällt.«
»Aber es war dunkel«, erinnerte er sie.
»Ich weiß, ich war gestern Abend da. So dunkel ist es da gar nicht. Es gibt jede Menge Straßenlampen.« Sie schüttelte den Kopf, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Außerdem ist da noch etwas. Und es ist keine Kleinigkeit.«
Slocum wartete.
»Sie wissen ja, dass wir den Wagen für eine kriminaltechnische Untersuchung mitgenommen haben. Am Anfang ist es niemandem aufgefallen, aber dann haben die Techniker diese beiden merkwürdigen Kratzer auf dem Kofferraumdeckel gefunden.«
»Kratzer?«
»Wirklich ein merkwürdiger Platz dafür. Auf den Stoßstangen? Ja. Auf den Türen? Ja. Aber auf dem Kofferraumdeckel? Die Techniker meinen, die Kratzer sind ganz frisch.«
»Keine Ahnung, woher die stammen.«
»Ann hatte doch an beiden Händen Ringe«, sagte Wedmore.
»Äh, ja, stimmt. Links den Ehering und rechts einen anderen. Warum?«
»Stellen Sie sich vor, jemand wird an ein Autoheck gedrängt und stützt sich auf dem Kofferraum ab. Genau da sind die Kratzer.« Wedmore streckte die Arme leicht nach hinten, um es ihm vorzuführen. »Die Techniker glauben, die Kratzspuren könnten von Anns Ringen stammen.«
Slocums Augen weiteten sich. »Wenn sie einen Platten hatte und den Reservereifen herausholen wollte, dann hätte sie die Hände ja auf dem Kofferraum gehabt.«
»Nur gibt es nicht den geringsten Hinweis, dass sie überhaupt versucht hat, den Reifen zu wechseln. Sie hat ja noch nicht mal den Motor ausgemacht.«
»Rona, sagen Sie mir doch einfach, was Ihrer Meinung nach passiert ist.«
»Wenn ich das wüsste.
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