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Weil sie sich liebten (German Edition)

Weil sie sich liebten (German Edition)

Titel: Weil sie sich liebten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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anderer Mann, selbst wenn ein Kind dazu
gehörte. Zu wissen, dass sie glücklich war und ein Kind hatte, würde seine
Schuld in gewisser Weise mildern. Denn er hatte ihr beinahe so Schlimmes angetan
wie Anna und ihrer Familie. Merkwürdigerweise hatte Meg nie von Mikes
Verhältnis mit Anna erfahren. Zumindest glaubte er das.
    Als Meg hörte, dass Mike wegen seiner angeblichen Beteiligung an dem
Versuch, den Skandal zu vertuschen, gekündigt worden war, reagierte sie
entsetzt und wütend. Das sei eine Schande, sagte sie (hatte er daran gedacht,
diese Schande in seine Zerstörungsbilanz aufzunehmen?) und verließ innerhalb
von Stunden das Haus, ohne ein Wort des Abschieds und ohne Hinweis darauf, wo
sie  in Zukunft zu erreichen sei. Mike
hatte den deutlichen Eindruck, dass sie schon auf dem Sprung gewesen war  und nur auf den richtigen Moment gewartet
hatte, der sich ihr nun hier ganz von selbst bot und dazu die unvergleichliche
Gelegenheit, sich aufs moralische hohe Ross zu schwingen. Mike hatte sie nicht
gebeten, bei ihm zu bleiben. So war ihm wenigstens erspart geblieben, ihr von
Anna erzählen zu müssen, was letztlich zum gleichen Resultat geführt, aber Meg
zusätzlich verletzt und gedemütigt hätte (dass es ihr das Herz gebrochen hätte,
bezweifelte er). Und wozu wäre das gut gewesen?
    Zu gegebener Zeit hatte auch Mike das Schulleiterhaus verlassen.
Auch er war schon auf dem Sprung gewesen. Es hatte ihn allerdings gestört, dass
Coggeshall und seine Frau bereits mit einer Autoladung Klamotten und
Haushaltsgegenständen in der Auffahrt standen. Hätte der Mann nicht
anstandshalber warten können, bis Mike weg war, ehe er seine Ansprüche als
neuer Herr des Hauses geltend machte?
    Mike würde also nach New York gehen, wo er ein bescheidenes
Apartment auf der West Side gemietet hatte (perfekte Anonymität), Weihnachten
mit Paul verbringen, der jetzt sein einziger Freund war, und vielleicht ein
Arbeitsangebot bekommen, das die Frage nach der Zukunft zunächst einmal klären
würde. Seit dem Skandal lebte Mike vom Rest seiner Ersparnisse, die zur Hälfte
Meg zugefallen waren. Mit dem, was jetzt noch übrig war, hätte er einen weiteren
Monat in dem teuren Hotel wohnen können. Danach jedoch wäre er blank gewesen.
    Was die Zivilklage der Familie Robles anging, so war sie gegen die
Schule erhoben worden (klug von den Robles, da die Schule bei all ihren
gegenwärtigen Schwierigkeiten immer noch mehr Geld hatte als Mike) und nicht
gegen Mike persönlich. Dennoch hatte Mike einen Anwalt nehmen müssen, um seine
eigenen Interessen zu wahren. Das war auch eine Ausgabe, die er im Kopf
behalten musste, die Rechnung würde sicher bald kommen. Wenn Paul ihm
tatsächlich eine Arbeit anzubieten hatte, würde er sie nehmen.
    Als Mike sich Avery näherte, umfasste er das Lenkrad fester. Die
Straßen waren hier noch schlechter, gewiss, aber der wahre Grund für seine
Nervosität war die bevorstehende Wiederbegegnung mit der Stadt, die ihn
ausgestoßen hatte. Er war dankbar für das Schneetreiben, das ihn deckte, auch
wenn mancher sich vielleicht über diesen Idioten wunderte, der bei solch einem
Wetter im Auto unterwegs war. Andere erkannten vielleicht den rostroten Volvo
wieder. Im Schneckentempo kroch Mike vorbei  an Peets Lebensmittelgeschäft, Greasons
Immobilienbüro und den alten Reihenhäusern aus der Zeit, als Avery noch eine
Fabrikstadt gewesen war. Alles war weihnachtlich geschmückt mit Lichterketten,
die wahrscheinlich schon seit Halloween aufgehängt waren. Er fuhr am
Gerichtsgebäude vorüber, den Blick bewusst von der Schule gegenüber abgewendet,
und er fuhr an der Mobil-Tankstelle vorbei, an der er ebenfalls nicht anhalten
wollte.
    Er schlingerte eine dunkle Straße hinunter, und das Schneetreiben
wurde immer dichter. Als er zu dem kleinen Hof kam, fuhr er zur anderen
Straßenseite hinüber, hielt an und schaltete die Scheinwerfer aus. Er schätzte,
dass er weit genug von der Fahrbahn herunter war, um keinen entgegenkommenden
Wagen zu erschrecken. Er musste an seine verhängnisvolle Rutschpartie auf dem
Blitzeis denken. An diesem Abend war die Straße eisfrei, aber auch auf dem
ungeräumten Schnee konnte man ins Schleudern geraten. Vielleicht nicht ganz so
heftig, aber beängstigend wäre es trotzdem. Durch das Fenster auf  der Beifahrerseite konnte Mike Licht in der
Küche und in einem der oberen Zimmer erkennen. Gab es auf der Erde einen
vergleichbar trostlosen und leeren Ort wie dieses Haus, das nur noch

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