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Weil sie sich liebten (German Edition)

Weil sie sich liebten (German Edition)

Titel: Weil sie sich liebten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Du
würdest Rob einen Brief schreiben und ihm erklären, dass du dies schon seit
Jahren tun wolltest, dass es nichts mit ihm zu tun hat und du dich bald melden
wirst. Du würdest deine Ersparnisse von der Bank holen, einen kleinen Koffer
packen und ihn auf den Rücksitz des Wagens legen. Es erscheint dir von großer
Bedeutung, dass du so wenige Dinge wie möglich aus deinem bisherigen Leben mitnimmst.
Es gibt allerdings Andenken, die dir wichtig sind und die vielleicht in einen
anderen Koffer gepackt werden müssten. Oder vielleicht lässt du sie fürs Erste
zurück, um sie später zu holen. Du würdest den Wagen auf die Straße
hinausfahren, links abbiegen und auf kleinen Straßen bleiben, bis du oben im
Norden von New York oder in Kanada bist. Vielleicht würdest du dann auch noch
weiterfahren, wenn der Drang immer noch nicht befriedigt ist. An dieser Stelle
geraten deine Träumereien ins Stocken. Du kannst dir den Ort nicht vorstellen,
an dem du schließlich anhältst, nicht das Motel, in dem du absteigst, und nicht
das Restaurant, in dem du isst. Der Tagtraum trägt nicht so weit, dass du dir
eine andere Arbeit, andere Verpflichtungen vorstellst. Aber der Drang, ins Auto
zu steigen und einfach zu fahren, ist sehr stark. Manchmal wundert es dich,
dass du ihm noch nicht nachgegeben hast.
    Du drehst dich herum, den Blick zur Küche, und beschließt, Nägel mit
Köpfen zu machen und die Küche tiptop aufzuräumen, bevor du losmusst. Du hast
dir die Zeit zum Duschen und zum Anziehen auf die Minute genau eingeteilt,
weißt, wie lange du dich der Küche widmen kannst, um noch rechtzeitig zur
U-Bahn zu kommen.  Mit dem Schwamm in der
Hand drehst du das warme Wasser auf, und während du darauf wartest, dass es
richtig heiß wird, starrst du auf den Küchenschrank vor dir, in dem die
Cornflakes stehen, Salz und Pfeffer und die Zahnstocher, das Pflanzenfett in
der Sprühdose, die Flasche mit den Tylenol-Extra-Stark-Kapseln, und fragst
dich, wie die Geschehnisse eines einzigen Abends, so obszön, schamlos oder zügellos
sie gewesen sein mögen, das Leben so vieler Menschen für immer verändern
können. Was Arthur angeht, kannst du es nicht mit Sicherheit sagen, aber eins
steht fest: dass bei dir und Rob nichts mehr so ist wie vorher, selbst wenn
sich bei ihm vielleicht alles zum Guten fügen und er doch noch ein Studium
beginnen wird. Eine einzige Handlung kann ein Leben aus der Bahn werfen und ihm
einen Verlauf geben, der nie gewollt war. Die Liebe kann das, denkst du. Und
eine wilde Party kann es auch. Plötzlich schlägt der Kompass in eine ganz
andere Richtung aus. Und eben dieses Wissen darum,
dass so etwas so leicht passieren kann, dieses Wissen, das du vorher nicht
hattest, hat dich und deinen Sohn grundlegend verändert.
    Das Wasser ist heiß und verbrüht dir die Finger. Du gießt
Geschirrspülmittel auf den Schwamm und versuchst, das schwarze Zeug
wegzubekommen.

Mike
    D en Mantel über dem Arm und den Koffer zu
seinen Füßen blieb er stehen und sah sich noch einmal in dem Glaskasten um, in
dem er gelebt hatte. Vor den Fenstern schneite es, Straßenlaternen, die
Außenlampe der Kirche auf der anderen Straßenseite und das Licht, das in
kleinen Quadraten aus den Fenstern der Nachbarhäuser fiel, beleuchteten die
Szene hinter den fallenden Flocken. Es war ein idyllisches Bild, wie man es
sich anrührender kaum vorstellen konnte. Er wäre vielleicht allein deswegen
geblieben – um hinauszuschauen und sich über das Leben der Menschen Gedanken zu
machen, die durch diese Lichtkegel schritten –, aber er war von seinem
abgekürzten Spaziergang mit dem Entschluss zurückgekehrt, unverzüglich
abzureisen. Er hatte am Empfang um die Rechnung gebeten, zur Verwunderung der
Rezeptionistin, die wusste, dass er eigentlich für weitere zehn Tage gebucht
hatte. Aber Mike wusste, dass er diesen Ort verlassen musste, an den er sich
zurückgezogen hatte, um zu schreiben; er würde nichts mehr schreiben, was
irgendwie mit den Ereignissen des Januar 2006 zu tun hatte. Am liebsten hätte er
sein mageres Manuskript gleich weggeschmissen, als er ins Zimmer kam, aber er
hatte gefürchtet, jemand vom Personal würde es mitnehmen und lesen, deshalb
hatte er es nun im Koffer. Es schien ihm schwerer zu wiegen als der Koffer und
sein restlicher Inhalt zusammen.
    Was hatte er in diesem Zimmer zu finden gehofft? Der Brief einer Wissenschaftlerin
von der Universität Vermont hatte den Wunsch, über den Skandal zu schreiben, in
ihm

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