Weil sie sich liebten (German Edition)
schien genau das Richtige für James. Man hatte ihnen zu einem zusätzlichen
Jahr für James geraten, das würde ihn umso besser auf die Gonzaga vorbereiten –
ein großartiger Plan, wäre er nicht hoffnungslos gescheitert.
Matthews Meinung nach mussten junge Männer Dampf ablassen. Man
hoffte, dass es beim Basketball geschah, aber diese jungen Leute standen unter
enormem Druck, da musste man ihnen einen gelegentlichen Ausrutscher verzeihen.
Und nach dem, was Matthew auf College-Ebene gesehen hatte, erschien ihm dieser
Vorfall an einer Privatschule vergleichsweise harmlos. Natürlich hatten die
Jungs kräftig über die Stränge geschlagen, aber Matthew fand, man hätte das
unter sich abmachen müssen. James’ Anwalt hatte bisher überzeugend dargelegt,
dass die Jungs keine Ahnung von der Aufzeichnung des Vorfalls gehabt hatten.
Dass sie vielmehr hereingelegt worden waren. Glaubte Matthew das? Er wusste es
selbst nicht.
Ja, wenn eine Bande Collegestudenten so etwas gemacht hätte, würden
alle von einem Experimentalfilm reden.
Das Mädchen hatte mit den Vierzehnjährigen, die Matthew kannte,
nicht die geringste Ähnlichkeit. Das Wort Biest fiel
einem ein. Und das stand für Durchtriebenheit. Es war Matthew egal, wer von
seiner Meinung zu dieser Sache erfuhr.
James und seine Freunde hatten es nicht nötig gehabt, irgendetwas zu
beweisen. Sie hatten ihre Feuerprobe schon in der Basketballhalle hinter sich gebracht.
James rührte keinen Basketball mehr an. Es brachte Matthew fast um, das
mit ansehen zu müssen. James hatte Basketball geliebt. Es war sein Leben
gewesen.
Michelle hatte Matthew das Schreiben der Wissenschaftlerin von der
Universität Vermont gezeigt. Er wusste nicht, ob sie mit ihr reden sollten oder
nicht. Er hatte eine Menge zu sagen, und von Anwälten hatte er die Nase
gestrichen voll.
Michelle
W enn nur ein bisschen was von dem, was
ich zu sagen habe, einer anderen Mutter hilft, hätte diese furchtbare Zeit in
unserem Leben wenigstens etwas Gutes bewirkt.
Ich wusste seit Jahren, dass wir mit James noch einiges erleben
würden. So etwas wie diese Geschichte in Avery habe ich mir zwar nie
vorgestellt – wer hätte das auch vorhersehen können? –, aber hinterher ist mir
bewusst geworden, dass ich eigentlich in ständiger Angst gelebt habe.
Manchmal bilde ich mir ein, ich hätte es verhindern können. Zu
anderen Zeiten wieder weiß ich genau, dass das nicht stimmt. Hin und wieder
habe ich mir früher die Frage gestellt, ob mit James irgendetwas nicht ganz in
Ordnung sein könnte.
Verstehen Sie, James hat gelogen. Schon mit dreizehn oder vierzehn
log er wie gedruckt. Er war lieb und süß und sehr lustig, aber er log so
schamlos, dass sogar ich ihm erst viel später auf die Schliche kam. Manchmal
hatte ich so einen Verdacht, weil seine Behauptungen irgendwie unlogisch waren.
Mit der Logik haben es Kinder ja nicht so. Aber er log so gekonnt, dass ich
häufig an meiner eigenen Wahrnehmung und Intelligenz zweifelte. Er sah mir
direkt in die Augen und behauptete etwas, das allem widersprach, was ich mit
Gewissheit wusste. Ich bekam Zweifel an mir selbst, und dann konnte ich es nur
dabei bewenden lassen.
Heute frage ich mich oft, ob ich strenger hätte sein sollen. Oder
weniger streng. In der Rückschau lässt sich das schwer sagen. Hätte ich jede
Minute des Tages mit ihm verbringen müssen, als er noch klein war? Hätte ich
lieber nicht arbeiten sollen?
In letzter Zeit zerbreche ich mir dauernd den Kopf über diese
Fragen.
Mit der Lügerei fing er in der achten Klasse an. Vielleicht hat er
auch schon früher damit angefangen, und es ist mir nur nicht aufgefallen. Ich
erinnere mich jedenfalls ganz deutlich an einen bestimmten Tag, als wir für
James einen Smoking leihen wollten, den er zur Hochzeit meiner älteren Tochter
tragen sollte. Ich hatte ihn von der Schule abgeholt, und wir waren auf der
Fahrt zu dem Verleihgeschäft. Ich weiß noch, dass er ungewöhnlich gesprächig
war, sodass ich mir sagte: Das ist ja mal ein guter Tag heute.
James redet in normalem Ton mit mir, und gleich werden wir ihn in einen Smoking
für Julies Hochzeit stecken. Aber als wir in dem Geschäft waren, schaute
Julie ihren Bruder mit so merkwürdigem Blick an, als wüsste sie etwas über ihn.
Der Blick war so intensiv, dass James sich immer wieder von ihr abwandte und so
tat, als wäre er von einem Jackett oder einem Paar Manschettenknöpfe abgelenkt.
Bis Julie schließlich sagte: »Was hast du geraucht? Deine
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