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Weil sie sich liebten (German Edition)

Weil sie sich liebten (German Edition)

Titel: Weil sie sich liebten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Masochist oder so was«, sagte Silas. »Mir
liegt überhaupt nichts dran, mich irgendwo reinzureiten.« Er schwieg einen
Moment. »Wenn ich suspendiert würde, würde mein Vater mich umbringen und ich
könnte nicht mehr Basketball spielen.« Wieder schwieg er. »Ich finde nur
einfach, dass ich ein bisschen zu lang gewartet hab. Ich hätte sie früher abwehren
und aussteigen lassen können. Aber stattdessen hab ich nur dagesessen und gar
nichts getan.«
    »Silas, es war nicht deine Schuld «, sagte
Mike, strenger, als er in einem anderen Fall vielleicht gewesen wäre. Er wollte
nicht, dass Silas sich mit dieser Sache verrückt machte. Er wollte nicht, dass
es ihn bei der Erfüllung der Aufgaben störte, die ihm das Leben zurzeit gerade
stellte – ein guter Schüler zu sein, ein anständiger Junge und ein
hervorragender Basketballspieler.
    Erstaunt über den neuen Ton, setzte sich Silas gerade und legte eine
Hand auf seine Büchertasche.
    »Was hast du jetzt?«, fragte Mike.
    »Chemie.«
    »Brauchst du eine Entschuldigung?«
    »Nein, nein, kein Problem«, versicherte Silas und stand auf.
    Auch Mike stand auf. »Danke, dass du gekommen bist«, sagte er, als
hätten sie sich über einen Fächerwechsel unterhalten.
    Silas nickte.
    »Und grüße deine Eltern.«
    Mike sah ihm nach, als er zur Tür ging. Er hatte eine merkwürdige
Art, beim Gehen ein Bein leicht nachzuziehen, es erinnerte Mike an den Vater
des Jungen. An der  Tür blickte Silas
sich um, es sah aus, als wollte er noch etwas sagen. Dann aber zuckte er nur
mit den Schultern und ging. Nach ungefähr einer Minute folgte ihm Mike ins
Foyer hinaus und goss sich einen Becher starken Kaffee ein.
    In den Tagen danach fragte sich Mike, warum er Silas zu sich
bestellt hatte. Nur um die Aussage des Mädchens zu überprüfen? War das wirklich
nötig gewesen? Oder gab es noch einen anderen Grund – das Bedürfnis des Vaters
vielleicht, den Sohn wissen zu lassen, dass er alles sieht und alles weiß? Mike
wusste natürlich, dass er nicht Silas’ 
Vater war, aber hätte er nicht, wenn es, entgegen der Aussage des Mädchens,
so etwas wie eine heimliche Mittäterschaft Silas’ gegeben hätte, dem Jungen
durch die Blume zu verstehen geben wollen, dass er darüber Bescheid wusste?
    Nach ihrem ›Gespräch‹ änderte sich Silas’ Haltung Mike gegenüber.
Wenn Mike früher zu den Quinneys gekommen war und den Jungen vor dem Fernsehapparat
vorgefunden hatte, war Silas stets aufgestanden und ihm entgegengegangen, um
ihn mit Handschlag zu begrüßen. Jetzt zögerte die Hand, und der Blick begegnete
dem Mikes nicht mehr so unbefangen. Es war, als würde jeder von beiden, wenn
sie einander sahen, an das Gespräch  im Büro
erinnert und müsste daher – ob er wollte oder nicht – an den Vorfall in Silas’
Auto denken, wohl wissend, dass es dem anderen genauso erging, sodass das Bild
des Mädchens mit der Hand in Silas’ Schoß sich wie ein dünner  Vorhang zwischen sie schob. Mike war nicht
mehr so schnell bereit, auf einen Sprung und einen Schwatz bei Anna und Owen
vorbeizufahren oder die beiden in Silas’ Beisein zu begrüßen, wenn sie zu den
Spielen kamen.
    Im Frühjahr von Silas’ vorletztem Jahr bekam Mike allerdings mit,
dass der Junge jetzt eine Freundin hatte, eine entzückende kleine Geigerin
namens Noelle, auf dem Weg zur Juilliard School of Music, wie Mike hoffte.
Solche herausragenden und hochgebildeten Schüler ( Preisschüler ,
wurden sie in Fachkreisen genannt, weil die Schule solche Erfolge leicht für
sich in Anspruch nehmen und damit um neue Schüler und Spenden ehemaliger
Schüler werben konnte; Schüler dieses Kalibers waren buchstäblich Gold wert)
waren eine Seltenheit in Avery, und Mike hatte Noelles Entwicklung mit wachsendem
Enthusiasmus verfolgt. Erst im September hatte sie in der Schulkapelle ein
Konzert gegeben, das von Schülern und Lehrern mit stürmischem Beifall
aufgenommen worden war. Viele hatten geweint. Es war ein unglaublicher Moment
gewesen.
    Noelle hatte langes dunkles Haar, sie war schlank und bewegte sich
wie eine Tänzerin. Sie hatte ein gewinnendes Lächeln. Wäre Mike in Silas’ Alter
gewesen, er hätte sich vielleicht auch in sie verliebt. Silas hatte wirklich
Glück, dass sie sich für ihn interessierte. Aber Noelle, fand Mike, der Silas
sehr mochte, hatte ihrerseits auch eine glückliche Wahl getroffen. Wenn er die
beiden sah, wie sie Schulter an Schulter, in ernstem Gespräch oder fröhlich
lachend, über den Schulhof

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