Weil sie sich liebten (German Edition)
der Küche und Silas
hockt mit den Männern im Wohnzimmer. Sie schauen sich im Fernsehen ein
Golfturnier an. Mrs. Quinney
backt die traditionellen Osterbrötchen mit Rosinen und einem weißen Kreuz
darauf. Sie hat mir ein kleines Osternest gemacht und gibt es mir. Ich weiß
nicht, was ich sagen soll. Bei uns zu Hause hatte Ostern nie viel Bedeutung.
Das letzte Osternest habe ich bekommen, als ich acht war. Im gelben
Plastikstroh liegen farbige Schokoladeneier, die wie echte Rotkehlcheneier aussehen,
mit diesen leichten Sprenkeln. Es sind auch Jelly Beans darunter und Plätzchen,
die so verziert sind, dass sie wie Ostereier aussehen. Ich weiß wieder nicht,
was ich sagen soll, und umarme Mrs. Quinney
einmal kurz. Einfach so. Ganz spontan. Mrs. Quinney
wirkt zuerst überrascht, dann lächelt sie. Danach bin ich nicht mehr nervös.
Beim Essen sitzen Silas und ich uns am Tisch gegenüber. Um ihn
sehen zu können, muss ich über den Tafelschmuck hinwegblicken, einen
glitzernden Osterhasen mit einem Loch im Rücken, in dem Blumen stecken. Ich
glaube, sie haben Silas und mich nicht nebeneinander gesetzt, weil niemand uns
offiziell zum Paar machen will. Ich bemühe mich, dem Gespräch zu folgen, aber
Silas sieht mich immer wieder an, und jedes Mal, wenn er das tut, verliere ich
den Faden. Ab und zu schaut Mr. Quinny erst mich an und dann Silas, als suchte
er nach einem Hinweis auf die Lösung eines Rätsels.
Nach dem Essen erklärt Silas, dass wir, er und ich, ein bisschen
rausgehen wollen. Wir ziehen unsere Mäntel an, und er nimmt mich bei der Hand,
ganz ungeniert vor seinen Eltern und vor seinem Onkel und seiner Tante. Er hält
mich den ganzen Weg an der Hand, über die Wiese hinter dem Haus, auf der noch
etwas Schnee liegt, einen Fußweg in den Wald hinauf. Ich trage Winterstiefel
von Mrs. Quinney, die mir ein
wenig zu groß sind. Sie rutschen an der Ferse. Mir ist kalt an den bloßen
Beinen. Ich stelle mir Mrs. Quinney
in den Stiefeln vor, wie sie wohl Hunderte von Malen in ihnen in den Schafstall
gegangen ist.
Wir klettern rutschend und stolpernd den ansteigenden Weg
hinauf, Silas voraus. Von Zeit zu Zeit schaut er zum Haus zurück. Unter den
kahlen Ästen der Bäume kann ich Silas’ Auto erkennen. Ich vermute, Silas
fürchtet, es könnte uns jemand folgen, aber dann begreife ich, dass er den Moment
abpassen möchte, ab dem wir von unten nicht mehr zu sehen sind.
Er hält auf dem Fußweg an und wartet, bis ich ihn eingeholt
habe. Ich bin etwas außer Atem. Er lacht mich aus und sagt, ich sei außer Form.
Dann nimmt er mich in den Arm und zieht mich dicht an sich. Er küsst mich.
Anfangs sind die Küsse heftig und ein bisschen hektisch, aber dann werden sie
ruhiger, werden weich und warm und verlangend. Ich sehne mich auch nach ihm.
Ich drücke die Hand auf seine Brust, auf das saubere weiße Hemd. Er schiebt die
Arme unter meinen Mantel, und durch den dünnen Stoff meines Kleides spüre ich
die Hitze seiner Hände. Wir küssen uns lange, und als Silas sich schließlich
von mir löst, ist es, als hätte er eine feine Schicht meiner Haut mit sich genommen.
Ich neige mich ihm zu, so weit, dass ich mich auf Zehenspitzen erheben muss, um
nicht vornüber zu fallen.
Im Haus zurück, gehe ich sofort ins Badezimmer neben der Küche.
Mein Mund im Spiegel ist rot, wie wund, und geschwollen. Ich lasse das Wasser
laufen, bis es richtig kalt ist, dann wasche ich mir das Gesicht. Immer wieder
klatsche ich eine Handvoll kalten Wassers auf meinen Mund und trockne ihn
schließlich mit einem Handtuch. Wieder blicke ich in den Spiegel. Meine Lippen
sind immer noch geschwollen, es ist deutlich zu sehen, was Silas und ich
getrieben haben. Aber ich muss das Bad endlich frei machen, sonst denken die
anderen noch, mir wäre schlecht.
Als ich in die Küche komme, steht Mrs. Quinney mit dem Rücken zu mir und trocknet die letzten
Teller ab. Ich hätte ihr vorhin meine Hilfe anbieten sollen. Ich sage, es tue
mir leid, dass wir einfach gegangen sind und ich ihr nicht beim Geschirrspülen
geholfen habe. Sie dreht sich herum, wohl um etwas zu erwidern, aber ihr
bleiben die Worte weg. Sie starrt mir ins Gesicht. Sie dürfte eigentlich nicht
allzu überrascht sein, finde ich – was stellt sich denn eine Mutter vor, was
passiert, wenn ein Junge und ein Mädchen miteinander verschwinden? –, aber sie
scheint trotzdem erschüttert zu sein. Erschüttert. So etwas hat sie sich nicht
vorgestellt. Ich kann kaum atmen.
»Silas ist drüben«, sagt
Weitere Kostenlose Bücher