Weil sie sich liebten (German Edition)
Bewerbungsaufsatz fürs College machen, der wäre der absolute Knaller.
Ehrlich. Mein Studienberater macht mich noch verrückt. Ständig soll ich
Informationen über irgendwelche Universitäten nachlesen, nichts als zusätzliche
Hausaufgaben, wenn Sie mich fragen. Ich weiß ja, dass diese Leute einem helfen,
in ein College reinzukommen und alles, aber das ist schließlich ihr Job, oder?
Und deshalb sehe ich auch nicht ein, warum ich so supernett zu ihnen sein soll,
wie meine Mutter dauernd sagt. Sie sagt, wenn dein Studienberater dich nicht
mag, kannst du einpacken. Ein Gutes ist immerhin, dass in meinem Zeugnis nichts
davon steht, dass ich rausgeschmissen worden bin, weil, erstens, bin ich nicht
rausgeschmissen worden, sondern von selbst gegangen, und zweitens schreiben die
nur, dass ich Tapetenwechsel brauchte oder meine Allergien verrückt gespielt
haben oder so was, um zu erklären, warum ich nach Houston gewechselt habe.
Denn so schlecht waren meine Noten in Avery gar nicht, bevor das
alles passiert ist. Im ersten Halbjahr habe ich fast in jedem Fach entweder C+
oder B– gekriegt, das ist genau der Durchschnitt. Ich hätte mich auch bestimmt
noch verbessert, aber dann ist das alles passiert, und es war echt traumatisch,
wissen Sie. Ich leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Das hilft
sicher auch. Ich meine, bei meiner Collegebewerbung.
Noelle
I ch warte auf Silas, der noch beim
Basketballtraining ist. Ich stehe draußen im weiß gekachelten Korridor mit dem
blau gestrichenen Boden und schaue durch den Maschendraht in der rechteckigen
Glasscheibe zu. Die meisten Trainingsstunden sind für heute beendet, und ich
rieche den Schweiß an den Sportklamotten im Umkleideraum. Hoffentlich kommt
Silas bald, sonst verpasse ich das Essen in der Kantine.
Die Jungs in der Halle sind jünger als Silas. Er bewegt sich so
schnell und geschmeidig wie ein Tier auf dem Spielfeld. Die Jungs, alle aus der
Neunten, höchstens der Zehnten, machen ein Pick-up-Spiel. Silas gibt Anweisungen
und feuert sie an. Ihren Gesichtern sehe ich an, dass sie Silas mögen. Sie tun
alles, was er ihnen sagt. Einen Jungen, der einen Wurf verfehlt hat, lässt er
noch einmal werfen und dann noch einmal und noch einmal, bis er es richtig
macht und glücklich lacht. Ich kann mir Silas gut als Lehrer vorstellen, er
wäre bestimmt ein prima Lehrer. Er zeigt den Jungs, wie sie bei dem, was sie
tun, besser werden können. Ich stehe hinter dem Drahtglas und versuche, mir
Silas irgendwann in der Zukunft als Basketballtrainer an einer Highschool oder
auch an einer Privatschule vorzustellen. Ich sehe ihn vor mir, von den Jungs
respektiert, wie er sie ausschimpft, wenn nötig, sie ermutigt, wenn sie es
brauchen. Die Mädchen verknallen sich alle in ihn, aber Silas liebt nur mich.
Ich bin seine Frau, und er ist ein großartiger
Vater. Ich sehe das alles jetzt schon vor mir.
Ich fahre über die Osterferien nicht nach Hause, die Reise ist
zu weit für diese kurze Zeit. Silas’ Eltern haben mich zum Ostersonntagsessen
zu sich nach Hause eingeladen. Silas’
Vater kenne ich von den Basketballspielen, aber seine Mutter habe ich
noch nie gesehen. Silas holt mich im Internat ab, er trägt Hemd und Krawatte
und erzählt mir, dass er mit seinen Eltern in der Kirche war. Ich würde das
Hemd und die Krawatte gern anfassen. Ich habe eigens ein Kleid angezogen, aber
als ich mich vorn in Silas’ muffig riechendes Auto setze, sehe ich, dass es zu
kurz ist. Es rutscht über meinen Schenkeln hoch, und ich weiß sofort, dass
Silas’ Mutter dieses Kleid fürchterlich finden wird. Einen Moment denke ich
daran, in mein Zimmer zurückzulaufen und eine lange Hose und ein Top
anzuziehen, aber Silas biegt schon vom Schulgelände auf die Straße ab, um nach
Hause zu fahren.
Mir ist kalt an den Beinen, es ist eben noch nicht Frühling,
auch wenn wir schon Ostern haben. Draußen liegt noch Schnee, und ich besitze
nicht einmal eine Strumpfhose. Mein Kleid ist aus Baumwolle und hellblau. Ich
dachte, es wäre das Richtige für Ostern, aber das war ein Irrtum. Silas legt
seine Hand auf mein nacktes Bein, unmittelbar über dem Knie. Ich weiß nicht,
was er mit dieser Geste sagen will. Möchte er mich wegen des Kleides beruhigen?
Oder möchte er einfach nur meine Haut berühren?
Vielleicht waren meine Befürchtungen wegen des Kleides
unbegründet; seine Mutter ist nett zu mir und unterhält sich mit mir in der
Küche. Witzig, kaum sind wir da, bin ich mit den Frauen in
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