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Weine ruhig

Weine ruhig

Titel: Weine ruhig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aliza Barak-Ressler
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beschützen. Obwohl die Lage düster und aussichtslos schien und die inzwischen fast drei Jahre anhaltende Zeit des Fliehens und Versteckens uns alle erschöpft hatte, heckte Vater einen neuen Plan aus. »Kommt, wir verstecken uns im Holzschuppen hinten im Hof. Dort werden sie uns nicht finden. Wir werden dort die nächsten paar Stunden abwarten und dann sehen, was wir als Nächstes tun. Mädchen, ihr werdet absolut still sein müssen, damit wir nicht entdeckt werden und damit wir hören können, was draußen vor sich geht.«
    Mutter, wie immer skeptisch, hatte ihre Zweifel. Diesmal gebe es kein Entrinnen, sagte sie. Warum sollten wir uns in dem dunklen Holzschuppen verstecken? Wir würden bei der Durchsuchung der Häuser so oder so gefunden werden. Und wenn wir wie durch ein Wunder nicht entdeckt würden, was käme dann? Wo könnten wir hin? Mutter und Vater machten sich auch Sorgen um das Schicksal unseres Cousins Simon, der mit den anderen Flüchtlingen unter dem Schutz der Gemeinde stand. Würde er deportiert werden oder würde er versuchen zu fliehen, trotz seines jugendlichen Alters? Erst nach dem Krieg erfuhren wir zu unserer großen Erleichterung, dass es ihm gelungen war, mit Hilfe eines älteren Jungen zu entkommen und sich zu seiner Familie nach Budapest durchzuschlagen.
    Vater schaffte es schließlich, Mutter zu überzeugen, dass man seinem Plan zumindest eine Chance geben müsste. Wir zogen schnell unsere Mäntel an und stopften ein paar warme Sachen und Essen in eine Tasche. Die kleine Miriam klammerte sich an ihre neue Gummipuppe wie an einen Rettungsanker. So ausgerüstet, rannten wir zum Holzschuppen und schlossen uns dort ein. Wir setzten uns auf einen breiten Balken. Im Schuppen war es dunkel. Es gab keine Fenster, und nur die Ritzen in den Bretterwänden ließen etwas Luft herein.
    Bald hörten wir im Hof Menschen herumrennen und schreien. Durch die Ritzen sahen wir unsere Nachbarn, die ziellos hin und her liefen. Alle trugen Rucksäcke und beratschlagten, was sie mitnehmen sollten. Dann kamen die Männer der Hlinka-Garde und stießen und schubsten die Menschen auf die Straße. Der Hof leerte sich binnen weniger Minuten, eine seltsame Stille senkte sich herab, und ein einsamer Polizist ging von einer Wohnung zur anderen und versiegelte die Türen, so wie sie es überall machten, wenn sie Menschen aus ihren Wohnungen geholt hatten.
    Wie benommen hockten wir eng aneinander geschmiegt auf dem Balken. Vater hatte angefangen, eine Wand aus Holzscheiten zwischen uns und der Tür aufzuschichten, die uns verdecken sollte, falls jemand plötzlich die Schuppentür öffnete. Wir hielten uns an den Händen, flüsterten ein wenig miteinander und standen nur auf, wenn sich einer von uns in der Ecke des Schuppens erleichtern musste.
    Die Stunden vergingen. Langsam ging die Sonne unter. Schräge Strahlen stachen durch die Ritzen in der Wand und erhellten den kleinen Raum. Kein Laut war zu hören. Wir wussten, dass sie alle Juden unseres Hofes, die nicht geflohen waren, mitgenommen hatten. Es gab nur eine nichtjüdische
    Familie in dem »Judenhof«. Und wir fragten uns, wie ihr wohl zumute war, jetzt, da sie ganz allein in dem großen Hof wohnte. Ihre Wohnung lag dem Holzschuppen direkt gegenüber, und wir konnten sehen, dass sie aus dem Fenster schauten, hin und wieder die Tür öffneten, kurz hinaustraten und sofort wieder hineingingen. Mit anzusehen, wie die Juden zusammengetrieben wurden, schien sie bestürzt und aufgeregt zu haben. Sie hatten weder protestiert noch ihren Nachbarn Mut zugesprochen. Sie hatten sich noch nicht einmal von ihnen verabschiedet. Sie waren in ihrer Wohnung geblieben, aus Scham, aus Angst oder aus Gleichgültigkeit.
    Es war klar, dass wir ohne Verpflegung und ohne Hilfe von außen nicht in dem Holzschuppen bleiben konnten. Außerdem war uns klar, dass der Schuppen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durchsucht werden würde. Also folgten wir Vaters Anweisung und wagten uns hinaus, sogar noch vor Einbruch der Dunkelheit, machten uns auf den Weg zu unseren nichtjüdischen Nachbarn und klopften an ihre Tür. Sie waren sprachlos, als wir vor ihnen standen, und sahen uns mitleidig und besorgt an. Vater fragte, ob wir bei ihnen bleiben könnten, nicht länger als eine Nacht, aber sie schlugen uns die Tür vor der Nase zu.
    Daraufhin liefen wir eiligst in Richtung des großen Waldes am Stadtrand. Die Straßen waren fast leer. Die wenigen Menschen, denen wir begegneten, mussten

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